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11. Kapitel
  • Bäuerliches Wirtschaftswesen im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Hochstifts Paderborn.
  • Ackerbau.
  • Nachbarrecht und Flurzwang.
  • Bodenbearbeitung.
  • Erträge und Getreidepreise.
  • Viehzucht.
  • Verschuldung des Grundbesitzes.
  • Die Bauernbefreiung und ihre Folgen.

Alfons Nobel sagt in seiner deutschen Geschichte Bonn 1935 Seite 300:

Die äusseren Lebensformen Deutschlands vor 100 Jahren ähnelten mehr denen vor 1000 Jahren als unseren heutigen. Die gewaltige Umgestaltung ging von der wissenschaftlichen und technischen Fortentwicklung aus, die sich in wenigen Jahrzehnten vollzog. Die technische und infolgedessen auch die wirtschaftliche Veränderung dieser Jahrzehnte ist ein einzigartiger Vorgang, wie ihn die Weltgeschichte kein andres Mal erlebt hat.

Wir wollen versuchen, im Nachstehenden ein zusammen gedrängtes Bild des bäuerlichen Wirtschaftswesens und Lebens im vergangenen Jahrhundert zu entwerfen. Gelegentliche Hinweise Benutzt sind: Festschrift des Westfälischen Bauernvereins: "Beiträge zur Geschichte des Westfälischen Bauernstandes" Berlin 1912 und Josef Weigert "das Dorf entlang" Freiburg 1915 ferner Archivalien des Staatsarchivs in Münster (Kriegs- und Domänenkammer-Minden), des zuständigen Grundbuchamtes, der Bürgermeisterei Atteln und des Katasteramtes Büren. auf das Heute mögen zur Illustrierung des Gesagten dienen.

1. Bäuerliche Wirtschaft; Rentabilität.

a. Ackerbau

In den Gebieten der geschlossenen Dorfsiedelungen befand sich der Grund und Boden auch in den vom Kloster Dalheim abhängigen Dörfern, im sog. Gemengegelage, d.h. die Grundstücke lagen vielfach bunt gewürfelt durcheinander. Sie waren meistens nicht von einem Wege aus zugänglich, sondern vom Nachbargrundstück aus, das ebenfalls vielfach nur vom Acker des oder der Nachbarn zu erreichen war. Die Entstehung dieses Gemengegelages geht zurück in die ersten Zeiten der Besiedelung durch deutsche Bauern und soll hier nicht weiter erklärt werden.

Die notwendige Folge dieses Gemengegelages und Voraussetzung für die Bodenbearbeitung waren Nachbarrecht und Flurzwang. Ersteres besagte, dass jeder Grundstückeigentümer das Fahren über seinen Acker unter Befolgung bestimmter Gewohnheitsrechte gestatten musste wie er denselben Anspruch an seine Feldnachbarn hatte. Mit diesem Nachbarrechte war innigst der sog. Flurzwang verbunden. Um Beschädigungen an den Feldfrüchten zu vermeiden, die durch das Betreten und Befahren der Grundstücke hervorgerufen waren, waren die Flurnachbarn gezwungen, möglichst dieselbe Fruchtfolge zu beobachten und zwar in der seit dem Mittelalter gebräuchlichen Dreifelderwirtschaft: Winterkorn, Sommerkorn und Brache.

In einem Voranschlag der Kriegs-Domänenkammer (XIV Nr.56) bei Aufhebung von Dalheim über die Heuerfrucht in Blankenrode heisst es:

Grösse der pflichtigen Ländereien: 381 Morgen 43 Ruten; davon:
¼Brache95 M.40¾ R.
¼Winterkorn95 M.40¾ R.
½Sommerkorn190 M.81½ R.

Der Ertrag des Winterkorns (Roggen) wird veranschlagt auf 65 Scheffel 6½ Metzen (Berliner Maß) a 20 Sgr.= 54 Tlr. 12 Sgr. 1½ Pfg, desgl. des Sommerkornes (Hafer) auf 149 Scheffel 9¾ Metzen (Lichtenauer Maß) a 8 Sgr.= 49 Tlr. 20 Sgr. 10½ Pfg, Also in Summa: 104 Tlr. 9 Sgr.

Welche Erschwerungen lagen besonders für den strebsamen Bauern in diesem Gemengegelage und dem Flurzwang! Er war nicht frei in der Bestellung seines Ackers, in der Auswahl der Fruchtfolge. Anbau von Hackfrüchten war damals noch unbekannt Der Anbau der Kartoffel bürgerte sich erst allmählich ein. Bestellung des Feldes mit Rüben und Fütterkräutern war nicht gebräuchlich. Nach Aufhebung der durch den Flurzwang bedingten Dreifelderwirtschaft durch die Verkoppelung- oder Separation konnte die verbesserte Dreifelder- bzw. Sechsfelderwirtschaft eingeführt werden, indem die Brache abwechselnd mit Futterkräutern oder Hackfrüchten bestellt wurde.

Vor der Separation hatte auch der kleinere Bauer und Kötter eine mehr oder minder größere Vielheit von Grundstücken, die oftmals recht weit von einander entfernt lagen. Das Gesinde wechselte allerdings damals nicht so häufig wie jetzt. Aber oft konnte es recht lange dauern, bis der Knecht die einzelnen Grundstücke seines Herrn kennen gelernt hatte. Verwechselungen vgl. Reuter Ut mine Stromtid 39. Kapitel, wo Knecht des Kaufmanns Kurz den Acker des Bäckers Wredow irrtümlich düngt. in der Bestellung oder Düngung konnten wohl unterlaufen, wie ältere Landwirte schon vom Hörensagen erfahren haben.

Durch die Zersplitterung im Gemengegelage entstand naturgemäß großer Verlust an Zeit und Kraft bei Menschen und Gespann, sowie an Wagen und Gerätschaften bei den Bestellungs- und Erntearbeiten. Hinzu kommt noch der für uns moderne Menschen heute kaum noch vorstellbare schlechte Zustand der Straßen und Wege. Hiervon erzählen die landesherrlichen Verordnungen aus dem 18. Jahrhundert über Zustand und Ausbesserung der Postwege. Die erste feste Straße im alten Hochstift Paderborn ist die von Napoleon I. aus militärischen Gründen erbaute Straße Paris-Köln-Paderborn-Kassel-Erfurt.

In den vom Kloster Dalheim abhängigen Dörfern gab es nur Feldwege, Lebenswahre Schilderung der damaligen Wegeverhältnisse Westfalens in der Festschrift des Westf.Bauernvereins 1912; "Beiträge zur Geschichte des westfälischen Bauernstandes." S. 167 ff. die bei anhaltendem Regenwetter nicht passierbar waren.

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts waren die Grundstücke im Gemengegelage zwar nach Flur und Nummer und Grösse im Kataster aufgeführt, aber die Lage eines jeden Grundstückes wird durch Angabe der Nachbarn genauer bezeichnet. Bei dem Grundstück des Landwirts Bernard Jordan in Blankenrode, um nur ein Beispiel anzuführen, bescheinigt der Kantonsbeamte (Amtmann) Mantellin Lichtenau am 13.8.1839 dass "das Grundstück Flur 6 Nr. 145 hinterm Haselbusche - Acker - Bodenklasse 5 - zur Grösse von 3 Morgen 79 Ruten mit einem Reingewinn von 1 Tlr. u. 1 dt. im Norden von dem Grundstück Nr.140 des B. Jordan, im Süden von Nr. 141 des Martin Breidenbach in Oesdorf, im Osten Nr. 144 des Bernard Lohoff und im Westen von Nr. 146 des Ludwig Dreps begrenzt wird."

Nach Anlage des Grundbuches in der Gemeinde Blankenrode im Jahre 1842 fallen die Nachbarbezeichnungen weg. Wegen des Mangels an bestimmter Versteinung und Grenzfestsetzung konnte leichter die Grenze durch böswilliges, eigennütziges Ab- und Zupflügen verschoben werden. Um die Grenze heilig zu halten und dem Volksbewusstsein tief einzupflanzen, wurden so manche Erzählungen der Bestrafung von Grenzsteinversetzungen u.s.w. in damaliger Zeit erzählt und gläubig hingenommen. Der mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Einrichtung der Schnadezüge zur Klarstellung der Grenzen einer Gemeinde haben wir im 2. Kapitel bei dem vom Kloster Dalheim i.J. 1480 veranstalteten Schnadezug des Dorfes Snevelde und im 2. Kapitel Erwähnung getan.

Bei der zerstreuten Lage der Grundstücke vor der Verkoppelung, konnte bei nassen Böden eine Trockenlegung durch Drainage kaum erfolgen. So kam es, dass auf nassen Böden und besonders in regnerischen Jahren die Roggentrespe sich entwickelte während das Korn zurückblieb. Infolgedessen war in regnerischen Jahren das Brotgetreide sehr mangelhaft, weil mit den unzureichenden Reinigungsmaschinen die Unkrautkörner aus dem Getreide kaum, zu entfernen waren. Die Folge davon war: schlechtes Mehl und minderwertiges Brot und beim Verkauf stark herabgeminderte Kornpreise.

Erst durch die Separation ist die Vorflut geregelt. Bei der Bodenbearbeitung, Säen und Abernten, waren primitive Geräte, die man von den Vorvätern übernommen hatte, im Gebrauch. Im Anfang des vorigen Jahrhunderts waren noch Pflüge mit hölzerner Pflugschar, letztere allerdings mit eiserner Spitze im Gebrauch, wie auch die Eggen meistens noch hölzerne Zinken hatten. Ringelwalzen waren unbekannt, ebenso Drillmaschinen. Das Saatkorn wurde mit der Hand gesät, wobei ein Drittel mehr Saat als beim Drillen gebraucht wird und wobei der Ertrag ein geringer ist, die Gefahr des Lagerkorns nicht eingerechnet.- Auch Mähmaschinen gab es nicht. (Die erste Maschine dieser Art "System Mc. Cormick" wurde in der Provinz Westfalen 1864 vom landwirtschaftlichen Kreisverein Hamm angekauft, und die erste Dampfdreschmaschine wurde auf einer landwirtschaftlichen Ausstellung in Bielefeld i.J. 1862 vorgeführt.)

Und welch reiche Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen haben wir heute! Allerdings werden durch die arbeitsparenden Maschinen Menschenkräfte auf dem Lande übrig. Die Landwirtschaft kann heute mit weniger menschlichen Arbeitskräften auskommen, als vor hundert Jahren. Das Ursprungsland landwirtschaftlicher Maschinen ist Nord-Amerika, wo menschliche Arbeitskraft immer am teuersten war. Die Erfindung landwirtschaftlicher Maschinen gereicht insofern der deutschen Landwirtschaft und damit dem Volksgrenzen zum Segen, als in der Zeit der Industrialisierung die Menschen vom Lande in die Stadt strömten und so auf dem Lande sehr schwer Arbeitskräfte zu haben waren, die Maschinen in etwa einen Ausgleich schufen. Ohne die Maschinen hätte die deutsche Landwirtschaft vom intensiven zum extensiven Ackerbau und zur Weidelandkultur übergehen müssen.

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts waren unsern Gross- und Urgrossvätern Lupinen und Seradella zur Gründüngung unbekannt. Gänzlich unbekannt war ferner der Kunstdünger, Zur Düngung mit Buchenasche siehe oben S.39.der erst 1862 in der Form von Peru Guano in unserer Provinz zögernd eingeführt wurde. Weiteste Bedeutung auch in kleineren Wirtschaften erhielt Kunstdünger durch die Erfindung von Thomasschlacke und Kainit. Auch der animalische Dünger konnte in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts bei dem grossen Tiefstande der Viehzucht noch nicht in der für die Äcker notwendigen Menge angewandt werden, und die hergebrachte Brache war immerhin nur ein Ersatz für den wirklichen Bedarf des Bodens.

Sehen wir nun, welche Ernteerträge der nicht genügend gedüngte und mit ziemlich unzureichenden Werkzeugen bearbeitete Boden brachte. Nach dem Spezialanschlag der Aufhebungskommission bezüglich des Blankenroder Zehnten von 1802/03 (Kriegs- und Domänenkammer Minden XIV Nr. 27) wurde bei Ackerböden 2. Klasse der Körnerertrag bei Roggen und Gerste mit 5 Scheffel a 80 Pfund = 4 Ctr. angesetzt und bei Hafer 6 Scheffel = 4,80 Ctr. Bei Ackerland 3. Klasse wird nur Roggen und Hafer mit einem Ertrag von 4 bzw. 5 Scheffel aufgeführt.

Als Getreidepreise werden von der Dalheimer Aufhebungskommission angenommen bei Roggen: 1 Tlr. bei Gerste 18 Sgr. und bei Hafer 10 Sgr. jeweils für einen Scheffel. In den Jahren 1822/23 kostete der Scheffel Roggen nach heutigem Gelde nur 1½ Mark, und i.J. 1847 kosteten allerdings 80 Pfund 17,50 Mark! Die Erträge der einzelnen Körnerarten schwanken wohl in den einzelnen Jahren, je nach dem Stande der Witterung. Neben Bodenbearbeitung und Düngung haben doch Sonnenschein und Regen für die Volksernährung eine grössere "Wichtigkeit, als dieses manchem wissensstolzen Theoretiker lieb ist. Die Erträge sind aber im Durchschnitt von Jahr zu Jahr gestiegen und haben in Blankenrode die veranschlagten Erträge von 1802/03 ca. um ein Mehrfaches übertroffen.

Bei den Getreidepreisen haben wir im letzten Jahrhundert ganz ausserordentliche Spannungen und Schwankungen erlebt. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hingen die Preise ganz von der lokalen Ernte ab. Deshalb die Sorge unserer Vorfahren für Wetter und Ernte. Sie wussten, bei einer Missernte gibt es Teuerung und vielleicht Hungersnot! Ein Ausgleich zwischen Überschuss- und Bedarfsgebieten war nur bei fahrbaren Wasserstrassen zu schaffen.

Für das Paderborner Land kam das nicht in Frage. Bei den schlechten Wegen, die für Lastfuhrwerk nur in trockener Jahreszeit zu passieren waren, kam für den Getreide und Mehltransport hauptsächlich der Esel als Lasttier in Frage. Hieran erinnerte bisher in Paderborn die Strassenbezeichnung "Eselberg" leider umgeändert in Michaelstrasse. Hungerjahre infolge Misswachs mit ganz ausserordentlichen Getreide- und Brotpreisen hat Westdeutschland und damit das Paderborner Land erlebt in den Jahren 1817 und 1845/46.

Nach Ausbau der Landstrassen und der Eisenbahnen - die erste Eisenbahn in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth ist 1835 gebaut - konnte leichter ein Ausgleich zwischen den Gegenden mit guter und schlechter Ernte stattfinden. Nach Ausbau des Weltverkehrs werden die Getreidepreise wesentlich durch die Welthandelspreise diktiert, wenn auch in Deutschland durch die landwirtschaftlichen Zölle ein gewisser Ausgleich zu den Produktionskosten geschaffen wird.

In den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts drückte sich in den vielen Landverkäufen, in dem nach unseren heutigen Begriffen sehr niedrigen Kaufpreis auf der einen Seite der grosse Wert des baren Geldes und auf der anderen Seite der niedrige Wert der Naturalien aus. In den Jahren 1822-24 als der Scheffel Roggen nach heutigem Gelde nur 1,50 Mark kostete, konnten bei einem solchen Preise die Landwirte vielfach ihren Besitz nicht halten und mussten oft zu Schleuderpreisen Grund und Boden abstossen. Aber auch später blieben die Grundstückspreise noch lange recht niedrig.

Johann Förster hat durch Kauf für den Fernandshof 28¼ Morgen in 8 Parzellen hinzu erworben. Jedoch nur bei 2 Käufen ist aus den Grundbuchakten der Kaufpreis festzustellen; die i.J. 1834 von Heinrich Schäfers (genannt Kühlenwenner) Gemeint ist sicherlich Kuhlwehners in Meerhof gekauften 3½ Morgen "Auf der Asche" stellten sich für den Morgen auf ungefähr 14 Tlr. während die i.J. 1836 von Johann Nölle, (genannt Himberger) in Blankenrode gekauften 2 Morgen sich auf 10 Tlr. für den Morgen stellten.

Der nachfolgende Besitzer des Fernandshofes, mein Grossvater Ludwig von Rüden, erwarb durch Kauf und Heirat mit seiner zweiten Frau Anna 23½ Morgen in 8 Parzellen. Bei den durch Kauf in den Jahren 1840-44 erworbenen Grundstücken betrug der Kaufpreis durchschnittlich 15 Tlr. auf den Morgen; nur bei den von Wilhelm Jordan erworbenen 4½ Morgen "im Krögersbusch" war der Kaufpreis je rund 40 Tlr.

Förster Bernard Lohoff auf Altenförstershofe in Blankenrode kaufte in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts gegen 35 Morgen auf. - In den Zeiten des 1802 aufgehobenen Hochstiftes Paderborn war die fürstbischöfliche Regierung stets besorgt, eine zu weit gehende Verschuldung der Bauernhöfe und Zersplitterung der Meiergüter zu verhindern. Diese Sorge der Fürstbischöfe zeigt sich in den verschiedenen Meierordnungen, so in den Verordnungen des Fürstbischofs Clemens August von Bayern (1719-1761) von 1720 und 1726 und besonders in der grossen Meierordnung von Wilhelm Anton von Asseburg (1763-1782).

Nach der preussischen Besetzung des Hochstifte Paderborn fehlte zuerst den Bauern der Schutz des Landesherrn. "Unter dem Krummstab war gut wohnen gewesen." Der zur geistigen Herrschaft kommende Liberalismus wollte von einem Schutze der wirtschaftlich Schwachen nichts wissen. Die Verschuldung der Bauern im Paderborner Lande, besonders auch durch die vorerwähnten äusserst niedrigen Getreidepreise hervorgerufen, wuchs so, dass der preussische Staat ein Sondergesetz für die Bauern in dem Kreise Paderborn, Büren, Warburg und Höxter erlassen musste.

Bei den im Vorstehenden mitgeteilten niedrigen Grundstückspreisen in der Gemeinde Blankenrode muss allerdings noch in Betracht gezogen werden, dass die Grundstücke mit gutsherrlichen Lasten für Kloster bzw. Domäne Dalheim belastet waren. Über die Ablösung der Korngefälle und des Huderechtes für Dalheim ist bei der Wirtschaftsgeschichte des Fernandshofes des Näheren mitgeteilt worden.

Im Anschluss an das über Grund und Boden, Ernteerträge und Bodenpreise Gesagte möge noch Einiges über Flächen- und Hohlmasse, sowie über Münzen folgen.

Das gebräuchlichste Flächenmass war der rheinische Morgen, gerechnet zu 180 Quadratruten, die Rute zu 144 Quadratfuss gerechnet. In den Akten der Kriegs- und Domänenkammer wird zum Teil der Morgen zu 120 Ruten gerechnet. Es werden ferner als Flächenmasse aufgeführt: Magdeburger und Kalenberger Mass.

Eine ähnliche, ja noch grössere Buntscheckigkeit finden wir bei den Hohlmassen. Während wir heute nach Gewicht mit Dezimalsystem bei den Feldfrüchten rechnen, kannte man früher nur Hohlmasse. Im Paderborner Lande kannte man den Paderborner, Neuhäuser, Salzkottener, Lichtenauer, Warburger u.s.w. Scheffel; nach der preussischen Besetzung i.J. 1802 kamen Magdeburger und besonders Berliner Scheffel in Gebrauch.

In den Akten der Kriegs- und Domänenkammer finden wir auch den Malter, der bei Weizen, Roggen und Rauhfutter je 6 Scheffel, bei Gerste 8 Scheffel und bei Hafer 12 Scheffel zählte. Die nach Dalheim zehntpflichtigen Dörfer mussten nach Lichtenauer Scheffel liefern.

Auch in Münzen war eine ausserordentliche Verschiedenheit. Die wichtigste Münze des vorigen Jahrhunderts bis kurz nach 1870 war im Norden der Taler, der zu 30 Sgr. gerechnet wurde; der Silbergroschen hatte in der Regel 10 Pfennige. Neben dem Taler gab es Konventionsmünzen, die mit einem Aufschlage von 3/2 v.H. berechnet wurde. Bei der Klosteraufhebung 1802/03 finden wir auch Reichstaler zu 21 Schilling und Schilling zu 12 Pfg, meistens jedoch ist die Berechnung in Berliner Courant nach Taler, Gr. und Pfg. aufgestellt.

Von der Buntscheckigkeit des damals kursierenden Geldes bekommen wir eine Vorstellung aus der Aufstellung des am 8.3.1803 vom Kloster Dalheim durch Prälat Brüll, Subprior Hagemann und Prokuratür Vüllers der Aufhebungskommission übergebenen Barbestandes in Geld.

Es wurden übergeben:
MengeArtTlr.Gr.Pfg.=Tlr.Gr.Pfg.
In Gold:
28½Friedrichsdor à 5 4  = 147 6 
10 StückCarolins à 6 4  = 61 16 
4 Dukaten à 1 4  = 12 5 4 dt.
Sa.221 34 dt.
MengeArtTlr.Gr.Pfg.=Tlr.Gr.Pfg.
In Silber oder Courant:
206Laubtaler à 1134=32068
40Brabanter Taler à     = 60-- --
1Preussischer Taler    = 1-- --
2holländische Laubtaler à188 dt.  = 1 13 4
2desgleichen à20   = 1 16 --
14½Speziestaler à1 8  = 19 8 --
21holländische Gulden à 134 = 11 16 --
in 1/6 Stücken    = 8 4 --
in 1/12 Stücken    = 10 -- --
in 1/24 Stücken    = 88 14 --
in 1/36 Stücken    = 6 -- --
in 1/48 Stücken    = 3 4 --
 in Hessen Albus    = 14 1 6
 in verschiedenen kleineren Münzen    = 1 2 9
Sa.546 143
Z U S A M M E N F A S S U N G :
Summe in Courant = 546 14 3
Summe in Gold = 221 3 4
Sa.767 177

Bei der Kleinstaaterei Deutschlands blieb die Münzverschiedenheit; jeder Landesfürst wollte doch durch eigene Münzen seine Landeshoheit nach aussen hin zeigen. Bei der Gründung des norddeutschen Bundes nach dem preußisch-österreichischen Kriege von 1866 wurde im Bundesgebiet Einheitsmünze der Vereinstaler zu 30 Groschen, der Groschen zu 10 Pfennig gerechnet; die süddeutschen Staaten südlich der Mainlinie behielten ihre eigenen Münzen in Gulden und Kreuzern bei. Nach der Gründung des deutschen Reiches nach dem französich-deutschen Kriege 18.1.1871 wurde bald das Dezimalsystem in Mass, Gewicht und Münzen eingeführt. Bei unserer heutigen Markberechnung erinnern wir uns kaum der Entwicklung des Geldwesens im 19. Jahrhundert.

b. Viehzucht

Entsprechend der unzureichenden Ausnutzung des Ackerbodens - das Gleiche gilt übrigens vom Waldbesitz - war die Viehzucht eine klägliche zu nennen. In den meisten Wirtschaften standen die Kühe in engen, niedrigen und dumpfen Ställen. Die Tiefe des Rindviehstalles war meistens so ungenügend, daß ein Reinhalten des Raumes und des darin befindlichen Viehes unmöglich war. Abfluß der Jauche war vielfach nicht vorhanden, und das Rindvieh lag oft im eigenen Kot. Die Rückwirkung auf Tierpflege, auf Gewinn von Milch und Butter kann man sich vorstellen.

Heute liegen die Kühe auf trockener Streu und werden in den meisten bäuerlichen Wirtschaften wie die Pferde gereinigt und geputzt. Da die Verwendung der Milch und Milchprodukte außerhalb des Hofes wegen der schlechten Wege, wegen Fehlens von Molkereien unmöglich war, schränkte der Bauer seinen Rindviehbestand nur auf den Eigenbedarf ein zum Schaden der Düngung seiner Äcker. Der Anbau von Futterpflanzen, die heute für den bäuerlichen Betrieb unentbehrlich sind, war damals unbekannt. Runkeln und Steckrüben wurden kaum angebaut; desgleichen Klee, der vielleicht auf einigen kleineren Parzellen in der Nähe des Hofes gesät wurde.

Im Winter machte das Rindvieh vielfach eine Hungerkur durch, indem es nur mit Stroh gefüttert wurde. Vielfach waren die Kühe bei Wintersende so schwach, daß sie ohne Nachhülfe durch die Knechte und Bauersleute allein nicht aufstehen konnten. Maitag wurde das Vieh ausgetrieben auf die Gemeindeweide, die in den meisten Dorfgemeinden vorhanden war. Die Hütung übernahm der Gemeindekuhhirt und sein Junge. Auch in die Wälder wurden die Herden getrieben. In Blankenrode gab es keine Allmende; wohl konnte das Vieh in die Wälder zum Hüten getrieben werden. Bei Trockenheit und Dürre mußte das Vieh bei ungenügender Weidenahrung sehen, wie es seinen Hunger stillte.

Auch für die Pferde war Weidegang die durchaus unzureichende Hauptnahrung, wie auch für die Schweine, für welch letztere besonders die Waldmast im Herbst von Bucheckern und Eicheln von ganz besonderer Bedeutung war. Durch den Weidegang auch bei nasser, kalter Witterung war allerdings das Vieh abgehärtet; aber es war meistens klein und unansehnlich.

Bei Aufhebung der Zisterzienserabtei Hardehausen berichten die Akten der Kriegs- und Domänenkammer:

"Das Rindvieh ist von schlechter Art und geringem Ertrage, klein und unansehnlich. Der Administrator versichert, daß eine frisch milchgewordene Kuh täglich nicht mehr als 4 Maß Milch gebe, wenn sie auf die Weide kommt. Die hiesige Schäferei besteht aus grobem Vieh. Man findet in der hiesigen Provinz eine gute, große, gesunde Art von Schweinen."

Bei der Aufhebung von Dalheim heißt es in den Akten:

"Die Schafzucht liefert nur Wolle von der gröbsten Sorte. Das Rindvieh ist sehr klein, leicht und schlecht, die Pferde von gemeiner Rasse."

Der niedrige Stand der Viehzucht zeigt sich auch in den Viehpreisen, wobei man allerdings den außerordentlichen Wert des baren Geldes in damaliger Zeit nicht ausser acht lassen darf. Wie wir bereits beim Abschnitt über Aufhebung S.o.S.27 des Klosters Dalheim mitteilten, wird 1803 der Wert einer Kuh mit 2 Tlr. veranschlagt. - Bei der Schichtungsverhandlung meines Grossvaters Ludwig von Rüden mit dem Vormund meiner sel. Mutter am 16.1.1840 werden 2 Kühe und 3 Rinder mit 46 Tlr. bewertet; Der Wert von 3 Faselschweinen und 8 Bienenstöcken wird mit 9 Tlr. bzw. 6 Tlr. angegeben.

Dem pensionierten Prälaten Prior Franz Brüll zu Dalheim werden von der Kloster- und Aufhebungskommission ein neuer Kutschwagen und eine alte Stute geschenkweise überlassen; der Wert des Pferdes wird mit 10 Tlr. angegeben. - Bei der mehrfacherwähnten Schichtungsverhandlung meines Grossvaters vor dem Eingehen der zweiten Ehe waren 1840 auf dem Fernandshofe 5 Pferde und ein Stuppen, abgeschätzt zu 136 Tlr. also mithin für das Stück durchschnittlich gegen 24 Tlr.

Der um die Hebung der Landwirtschaft hochverdiente Johann Nepomuk von Schwerz gibt in seinem Buche "Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen und Rheinpreussen" Stuttgart 1836 auch eine Schilderung Siehe auch die bäuerlichen Verhältnisse u.s.w. Heimatborn XIII S. 39 des Pferdematerials in der Zeit nach dem Freiheitskriegen:

Ebenso kümmerlich wie das Rindvieh, das höchstens ein Gewicht von 300 Pfund erreichte, wurden die Pferde ernährt. Mancher Bauer unterhielt auf 20-30 Morgen 6 Pferde. Ist der Boden nicht ganz gefroren oder mit Schnee bedeckt, so müssen die Pferde hinaus, zu sehen, ob ihnen die gütige Natur nichts aufbewahrt hat. Unter solchen Umständen rückt endlich der Frühling heran. Die 6 Pferde schwanken mit einem Pfluge nach dem Felde. Zwei fangen die Arbeit an, während die vier anderen etwas Grünes auf einer erbärmlichen Weide oder auf den Kornfeldern des Nachbarn aufsuchen. Haben die zwei ersten Pferde ein paar Furchen gezogen, so stehen sie und können nicht mehr. Man wechselt also ab u.s.w.

In der Folgezeit sehen wir auch eine immer mehr sich auswirkende Veränderung im Viehbestande des Bauern. Mit der Aufteilung der Gemeindeweiden und dem Wegfall des Weideganges in den Wäldern muss der Bauer zur Stallfütterung übergehen; der Anbau von Hackfrüchten und Futterpflanzen ist durch die Separation und dem Wegfall der Dreifelderwirtschaft ermöglicht. Dazu kommt die Belehrung durch die landwirtschaftlichen Kreisvereine und deren Presse, sowie der Anschauungsunterricht auf Betrieben von einsichtigen Landwirten und besonders auf grösseren Gütern. Das landwirtschaftliche Ausstellungswesen hat erziehlich bei den Bauern auf die Viehhaltung entschieden gewirkt. Hinzu kam der Ausbau fester Strassen, der doch im 19. Jahrhundert vollzogen ist, und damit kam die Möglichkeit, besonders nach Vollendung der Separation und Zusammenlegung der Grundstücke beim Zugvieh Einsparungen zu machen.

Durch den Strassenbau kamen die Dörfer aus ihrer Vereinsamung heraus, der Bauer konnte seine Produkte auf den Markt bringen, neben Vieh auch die landwirtschaftlichen Nebenprodukte Milch, Butter, Eier usw.. Unser heutiges Viehmaterial steht turmhoch über dem vor etwa 100 Jahren.

Eine interessante Gegenüberstellung des Viehbestandes auf dem Fernandshofe von 1840 und heute möge diesen Abschnitt beschliessen:


Bei dieser Gegenüberstellung müssen in etwa die Grössen-Verhältnisse des Hofes mitberücksichtigt werden. Der Fernandshof war 1840 etwas über 66 Morgen gross, und die Grundfläche des heutigen Erbhofes beträgt etwas über 98 Morgen.

Zum Schluss dieses Abschnittes möge noch Einiges über die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes im abgelaufenen Jahrhundert mitgeteilt werden. Bei fast allen Blankenrodener Familien finden wir besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Hypothekenforderungen besonders für Juden aus Marsberg, zum kleinen Teil auch aus Lichtenau, eingetragen; dasselbe ist bei den Nachbardörfern der Fall. Diese Hypothekenkapitalien sind heute alle abgetragen; aber in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts fehlten Spar- und Darlehnskassen auf dem Lande gänzlich; ebenso waren noch keine Kreis-Sparkassen zur Deckung des ländlichen Hypothekenbedürfnisses.Fast der einzige kapitalkräftige Geldgeber waren die Juden, über die nachstehende Mitteilungen folgen mögen:

Bei den Akten der Kriegs- und Domänenkammer Minden, jetzt im Staatsarchiv in Münster, XIV Nr. 1, findet sich ein interessantes Aktenstück "Beschwerden über Marsberger Juden" aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Paderborner Regierung beschwert sich bei der kurkölnische Regierung in Arnsberg über das wucherische Treiben des Juden Feidell Hertzog zu Stadtberge in den eigen gehörigen Dörfern des Dalheimer Klosters Meerhof und Oesdorf und Umgegend; die Marsberger Juden - es sind neben Feidell Hertzog noch 20-25 jüdische Händler - dürften im Hochstift Paderborn keinen Handel treiben, da sie keine Paderborner Landeskinder seien.

Soweit uns die alten Grundbücher Aufschluss geben und es sich um Hypothekendarlehn handelt, kann man feststellen, dass die Juden bei diesen Darlehn gerade keine wucherischen Zinsen verlangten. Aber durch diese Gelddarlehn kamen die Landbewohner mehr und mehr in wirtschaftliche Abhängigkeit von den Söhnen Israels. Fast jedes Stück Vieh wurde durch den Juden angekauft und verkauft; vielfach musste der Bauer gutes gegen mageres Vieh eintauschen oder einstellen (wucherische Viehleihe!).

Auch in Familienangelegenheiten, Heiraten usw. war der Jude Ratgeber oder drängte sich auf. Der wirtschaftliche Druck und Ausbeutung - besonders auch Darlehn auf Handschein oder Wechsel - wurde zusehends schlimmer. Die Preussische Staatsregierung verlangte vom Oberpräsidenten von Vincke ein Gutachten, um diesem wirtschaftlichen Druck seitens der Juden zu begegnen; aber der Oberpräsident wusste auch keinen durchgreifenden Rat.

Wie wir sahen, haben die Juden von Marsberg eine ziemlich bedeutende Rolle gespielt. Ebenso die Juden von Lichtenau für die Gemeinden Lichtenau, Hakenberg, Holtheim, Asseln usw. In den sog. Grunddörfern des Altenautales Husen, Holtheim, Asseln und Etteln, sowie auch in Haaren usw. sassen Juden, die als Kleinhausierer sich niederliessen, aber allmählich die verschwiegenen Geldgeber der geldarmen Bauern wurden.

Fast in allen grösseren Gemeinden, besonders aber in den kleineren Landstädten mit grösserer ländlicher Umgebung hatten sich Juden niedergelassen. Im alten Hochstift Paderborn wohnten viele Juden in der Landeshauptstadt, in Lichtenau, Peckelsheim, Warburg, Salzkotten usw. dasselbe gilt vom Sauerlande und dem Waldeckschen. Nur in Delbrück i./W. und im Delbrücker Lande ist kein jüdisches Geschäft gewesen bzw. hochgekommen.

Erst durch die von Raiffeisen gegründeten Spar- und Darlehnskassen wurde der wirtschaftliche Einfluss der Juden auf dem Lande wirksam zurück gedrängt, die dann vielfach ihren Wohnsitz in die Grossstädte verlegten.

2. Die Bauernbefreiung und ihre Folgen.

Durch die grosse französische Revolution von 1789 war die Loslösung aus der mittelalter- und nachmittelalterlichen Gebundenheit weitester Bevölkerungskreise, so besonders des Handwerker- und Bauernstandes, proklamiert. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" war die gleissnerische Parole der Freiheitsmänner. Im liberalistisch-individualistischen Geiste, der durch die Staatsumwälzung in Frankreich bis in die neueste Zeit herrschend wurde, wurden durch die Proklamierung der Gewerbefreiheit die Zünfte der Handwerker zerschlagen, und der Handwerkerstand wurde schwerstens gefährdet.

Der am meisten unfrei gewordene Stand war der Bauernstand. In weitesten Teilen Europas gab es keine freien Bauern auf freier Scholle mehr: Der Bauer war unfrei in persönlicher Beziehung durch die Leibeigenschaft, er war an die Scholle gebunden, dem gutsherrlichen Hofe dienstpflichtig. Er war unfrei in seinem Besitze, der durch Zehnten, Heuern, Weinkaufsgelder, durch bestimmte Dienste dem gutsherrlichen Hofe gegenüber belastet war.

Im Gegensatz zum Osten der preussischen Monarchie war im alten Hochstift Paderborn die Leibeigenschaft nur vereinzelt und dann in der sehr milden Form der Eigenbehörigkeit anzutreffen. Infolge der französischen Revolution wurde die persönliche Unfreiheit des Bauern, die Leibeigenschaft, überall aufgehoben, so in Preussen durch die Stein-Hardenbergische Bauernbefreiung. In der französischen Republik und in den unter Napoleons I. Macht stehenden Rheinbundstaaten (Bayern, Württemberg, Baden und im Königreich Westfalen) erfolgte bald die Aufhebung der Leibeigenschaft. Andere Staaten Europas mit Ausnahme von Russland folgten nach.

Die Aufhebung der sachlichen Unfreiheit des Bauernstandes in seinem Besitze verursachte jedoch grössere Schwierigkeiten. Während in Süddeutschland auch diese Bauernbefreiung bald nach den Freiheitskriegen durchgeführt wurde, entstanden in Preussen grössere Schwierigkeiten, die vielfach von den Grossgrundbesitzern gemacht wurden, die besonders im Osten der Beseitigung der sachlichen oder wirtschaftlichen Unfreiheit des Bauernstandes grossen Widerstand entgegensetzten. Zum grössten Leidwesen der besten Vaterlandsfreunde in der napoleonischen Bedrückungszeit, eines Stein, Ludwig von Vincke und des Dichters der Freiheitskriege, Ernst Moritz Arndt, gewannen die reaktionären Kreise am Berliner Hofe leider grösseren Einfluss und wussten die Bauernbefreiung hinauszuschieben.

Durch die Säkularisation von 1803 wurde der Preussische Staat Nachfolger der bis dahin bestandenen geistlichen Grundherrschaften. Im Hochstift Paderborn waren geistliche Grundherren gewesen: Der Fürstbischof, das Domkapitel, das Stift zum Busdorf, die Klöster und Abteien, von letzteren besonders die 5 fundierten Klöster Abdinghof, Marienmünster, Hardehausen, Böddeken und Dalheim. Der ganze Besitz der früheren geistlichen Herren wurde zum Dominialbesitz erklärt; so entstanden auch in Atteln, Husen, Dalheim, Blankenrode usw. königliche Domänen.

Die vom Staate eingesetzten Rentämter bekamen die gewaltige Aufgabe, die gutsherrlichen Lasten der Bauern festzustellen. Es war eine überaus schwierige Aufgabe. Es lässt sich nicht leugnen, dass viele der ortsfremden preussischen Domänen-Rentmeister in der Vertretung der fiskalischen Interessen zu weit gegangen sind und den Bauern gegenüber die staatlichen Interessen zu stark durchgedrückt haben. Durch das teilweise zu rigorose Vorgehen der Rentämter neben Missernten und Preissturz beim Getreide ist in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts die stark zunehmende Verschuldung des Bauernstandes und Abverkauf von Grundstücken zu erklären.

Erst am 13. Juli 1829 wurde vom Ministerium für die Gebiete des früheren Königreichs Westfalen und die angrenzenden Bezirke die Ablösung der Reallasten verfügt. Leider fehlte vielfach in den Ministerien in Berlin der entschiedene Wille, die Bauernbefreiung energisch zu fördern. Ein freier Bauernstand auf freier Scholle sollte durch diese Reformen erreicht werden und ist, wie wir bei dem Beispiel des Fernandshofes gesehen haben, allerdings in jahrzehntelanger Arbeit durchgeführt. Die Ablösung der Reallasten, also die Beseitigung der sachlichen bäuerlichen Unfreiheit des Mittelalters, ist erfolgt und der Bauernstand so von einer lästigen Fessel befreit. Diese Bauernbefreiung ist dann gekrönt worden durch die Separation oder Verkoppelung, von der wir auch beim Fernandshofe das Notwendige und Wissenswerte mitgeteilt haben.

Diese an sich segensreiche Loslösung des ländlichen Besitzers von der bisherigen geistlichen und dann staatlichen Grundherrschaft barg jedoch für die Bauern eine überaus grosse Gefahr in sich. Der früher durch die Gutsherrschaft gebundene Besitz hatte den Bauern vor Überschuldung und Zerstückelung seines Hofes bewahrt; der Besitz sollte ungeteilt auf den Anerben übergehen. Wir erinnern an die verschiedenen Meierordnungen der Paderborner Fürstbischöfe.

Im südlichen Hochstift Paderborn herrschte das Majorat. Der älteste Sohn übernahm in der Regel den ungeteilten Besitz. Im Delbrücker Land herrscht seit Alters her das Minorat, das durch die neue Erbhofgesetzgebung Vorschrift geworden ist. Wir haben jedoch im Laufe unserer Abhandlung gesehen, wie im Interesse der Erhaltung des ländlichen Besitzes häufig Einheiraten vorgekommen sind, so beim Fernandshofe, bei Mertens- und Altenförstershof usw.

Durch den Wegfall der früheren Gebundenheit sehen wir in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auch in der Gemeinde Blankenrode einen unverhältnismässig grossen Wechsel im Ankauf und Verkauf von grösseren oder kleineren Landparzellen. Wir erinnern an die Landankäufe des Domänenpächters Wittmer, des Amtmannes Werner Kleinschmidt, des Försters Bernard Lohoff, der Besitzer des Fernandshofes Johann Förster und Ludwig von Rüden, Anton Thiele usw. Der bäuerliche Besitz des Lorenz Kiens, der Wwe. Voss geheiratet hatte, ist in Blankenrode verschwunden.

Der Abverkauf der Parzellen ist zum Teil durch Überschuldung der früheren Besitzer zu erklären, ist aber auch eine Folgeerscheinung des mehr und mehr sich durchsetzenden liberalistisch-individualistischen Zeitgeistes. Der Ackerboden wurde zu einer Ware, und das war die überaus grosse Gefahr für den Bauernstand.

In den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts bestanden noch keine ländlichen Spar- und Darlehnskassen, noch keine Kreis- und Stadtsparkassen, bei denen der Landbewohner zu mässigem Zinssatz bei Missernten, bei Unglücksfällen im Betriebe, bei Aussteuern der nachgeborenen Töchter und Söhne ein Darlehen hätte aufnehmen können. Der Hauptgeldgeber war, wie wir an anderer Stelle nachwiesen, der verschwiegene Jude, der dann bei überschuldeten bäuerlichen Stellen zum "Gütermetzger" wurde.

Zum Schutze der Landbevölkerung im alten Hochstift Paderborn und im Fürstbistum Corvey, also für die Kreise Paderborn, Büren, Warburg und Höxter, wurde am 20.9.1836 ein eigenes Gesetz erlassen, wonach den Juden die Erwerbung bäuerlicher Grundstücke nur unter der Bedingung gestattet wurde, dass sie dieselben selbst und mit jüdischem Gesinde bewirtschafteten. Am 5.1.1839 wurde dieses wohltätige Gesetz dahin abgeschwächt, dass den Juden die Bewirtschaftung der gekauften Ländereien mit christlichem Gesinde erlaubt wurde.

Wahrhaft patriotische Männer haben bereits vor Beginn und während der Bauernbefreiung auf die staatserhaltende Notwendigkeit eines lebensfähigen Bauernstandes hingewiesen, wohl am klarsten und deutlichsten der schon erwähnte Dichter und spätere Professor in Bonn Ernst Moritz Arndt, ein Bauernsohn von der Insel Rügen. Seine Anschauungen wurden geteilt von Freiherrn von Stein von dem langjährigen Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Ludwig von Vincke.

Es muss anerkannt werden, dass diese Männer gleichsam prophetischen Blickes die gefährliche Entwicklung des Bauernstandes in der Zeit des Liberalismus vorausgesehen und ohne Furcht und Tadel ihre Meinung geäussert haben. Sie verlangten im Interesse des Staates Erhaltung und Schaffung von genügend grossen Bauernstellen. Diese Stellen sollten unteilbar sein, nach altgermanischer Anschauung auf den ältesten Sohn bezw. die älteste Tochter übergehen. Der Hof sollte vor Überschuldung geschützt werden. Arndt ist besonders ein begeisterter Lobredner alter Bauerngeschlechter, die auf der ererbten Scholle sitzen, und denen der von Vorfahren ererbte Grund und Boden heilig ist und sein wird. Mit besonderer Liebe beschäftigte sich der Dichter mit der Landbevölkerung der roten Erde, wo nach Jahrhundert alter Tradition das Anerbenrecht, sei es in Majorat oder in Minorat, meistens in Übung geblieben war.

Leider war aber schon der Zeitgeist des Liberalismus auch bei den westfälischen Bauern eingedrungen, die dann von einer Bindung bei der Erbfolge oder bei der Übernahme von Schulden nichts wissen wollten. Der Bauer wollte vielfach keine Sonderbindung, die der Städter nicht hatte. Infolgedessen sind viele stolze Bauernhöfe auch in Westfalen infolge Überschuldung oder Abweichen des Bauern von der Vätersitte unter den Hammer gekommen und zerschlagen worden.

Wenn E.M. Arndt die Schaffung neuer Bauernstellen durch Aufteilung von Staatsdomänen und angekauftem Grundbesitz forderte, so hätte der Preussische Staat bei Anfall des kirchlichen Grossgrundbesitzes infolge der Säkularisation reichlich Siedlungsland zur Verfügung gehabt. Im Paderborner Lande hat Preussen von den säkularisierten Kirchengütern hiervon keinen Gebrauch gemacht. Bei den damaligen Regierungsstellen überwog leider vielfach zu sehr das finanzielle Interesse des Staates. In der damaligen so überaus geldarmen Zeit hätte aber auch kein Bauer zur Erwerbung einer Hofstätte für einen nachgeborenen Sohn die erforderliche Anzahlung leisten können. Zur Entschuldigung könnte noch angeführt werden, dass nach den Freiheitskriegen Deutschland noch dünnbevölkert war und etwa nur ⅓ der heutigen Einwohner des heutigen Deutschland aufwies.

Stein, Vincke und Ernst Moritz Arndt sind in der Zeit des herrschenden Wirtschaftsliberalismus mit ihren Ansichten und Mahnungen leider nicht durchgedrungen. Auf die Vorfrage des Königlichen Ministeriums in Berlin, ob zur Erhaltung des Bauernstandes eine beschränkende Gesetzgebung erforderlich sei, hatten alle Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Regierungskollegien und Generalkomissionen verneinend i.J. 1837 geantwortet. Nur Ludwig v. Vincke und der Regierungspräsident von Liegnitz hatten die Vorfrage energisch bejaht, und gesetzliche Schutzmassregeln für den bedrohten Bauernstand gefordert.

Stein, Vincke und Arndt sind damals von den Vertretern eines ungezügelten Wirtschaftsliberalismus als rückständig bezeichnet worden. Mit ihrer Freiheitspredigt haben die Sieger den Niedergang des Bauernstandes beschleunigt und durch Proklamierung des schrankenlosen Individualismus den Kampf aller gegen alle entfesselt. Unsere heutige Zeit bringt den bewährten Bauernfreunden Stein, Vincke und E.M. Arndt grosses Verständnis entgegen, und der deutsche Bauer gedenkt dankbar der alten unerschrockenen Vorkämpfer in der Zeit des schrankenlosen Wirtschaftsliberalismus.

Dankbar sei auch gedacht des um den westfälischen Bauernstand hochverdienten Freiherrn von Schorlemer-Alst, "des westfälischen Bauernkönigs", der zur Sicherung des Bauernstandes i.J. 1862 den westfälischen Bauernverein gründete, durch dessen Bemühungen für den Bereich der Provinz Westfalen das westfälische Anerbengesetz erlassen wurde. Nach diesem Gesetz war allerdings der ländliche Besitzer berechtigt, durch Testament über seinen Grundbesitz frei zu verfügen. Das Anerbenrecht trat indessen bei den als Anerbengüter im Grundbuch eingetragenen Bauernstellen ein, wenn der Besitzer ohne Testament gestorben war. Zur Erhaltung und Sicherung der Höfe ist das neue Erbhofgesetz überaus wertvoll und im vaterländischen Sinne gar sehr zu begrüssen. Zu Vorstehendem siehe in Band 91 der Westfälischen Zeitschrift die lesenswerten Aufsätze von Wilhelm Steffens: "E.M. Arndt und Vincke. Ihre Anschauungen über den Bauernstand in den Strömungen ihrer Zeit" und Dr. Anton Voss: "Die Grundherrschaft im Altenautale"

"Was du ererbt von deinen Vätern hast - erwirb es um es zu besitzen".



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