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Band 1

RÜDENER URGESCHICHTE

Dargestellt nach Anleitung der allgemeinen altdeutschen Zustände; als notwendige Grundlage für das verständnis der ganzen Rüdener Geschichte.

Kapitel 3

C. Der altgermanische Staat

und die verschiedenen Staatsglieder, nachgewiesen in der Rüdener Gemarkung

(§.5.)

Den altgermanischen Staat aber bildete die Gesamtheit der einzelnen Landgemeinden, welche wieder die einzelnen freien Eigentümer von Haus und Hof bildeten. Die Verfassung dieser kleinen Staaten war eigentlich eine gemischte, so zwar, dass das demokratische Element vorherrschte. Außer diesen enthielten sie freilich noch ein aristokratisches und bei einigen Völkern selbst ein monarchisches. Die Demokratie hatte ihre souveräne Macht in der Volksversammlung.

I. Adel

Außerdem aber hatten die Staaten ganz bestimmt einen Adel und zwar einen doppelten, einen Verdienstadel und einen Geschlechtsadel.

(§.6.)

1. Verdienstadel, Grafen

Unter Verdienstadel verstehen wir das Ansehen und den Einfluss, den einzelne der Staatsbürger - nur die freien Grundbesitzer gehörten dazu - durch ihre Stellung im Staate, als Kriegsrat, als Richter, als Feldherrn, sich verschafft hatten, und welche ihnen durch freie Wahl der Volksversammlung zu Teil geworden war.

Es sind die "Príncipes" des Cäsar und Tacitus. In diese Klasse gehören die Gauvorsteher, Gaurichter, welche in Westfalen zum Teil Carl der Große noch vorfinden und deshalb seine, auf der altgermanischen Einrichtung beruhende Staatsverfassung desto leichter einführen mochte. Die Karolingischen Grafen waren nichts weiter, als was die alten "Comites", d.i. Staatsbeamten, die freilich später ihre Würde erblich, ihren Bezirk zu ihrer Herrschaft und sich selbst zu mehr oder weniger selbstständigen Herren machten.Wie dieses gekommen, brauchen wir um so weniger auszuführen, als diese Territorial-Entwicklung gerade bei dem Rüdener Gaue nicht der Fall war, in welche, die wenigen bekannten Grafen, so diese kleinen Gaue mit vielen andern als eine große Grafschaft - comitatus - besaßen, eben nur Beamte gewesen und geblieben zu sein scheinen.

Graf Hahold, den wir als den ältesten Grafen dieser Gegend kennen, mochte wohl kaum Besitzungen hier selbst haben, da ja der Mittelpunkt desselben - Drewer - dem Könige unmittelbar gehörte und Hahold dort an der Mahlstatt seiner Unterrichter haben mochten. Deshalb stand nach Haholds Tode der Gerichtsbezirk dem König zur Verfügung frei und dieser übermachte ihn der Paderborner Kirche, welche kaum von der Verleihung Gebrauch gemacht haben mag, da auch keine Spur davon sich später vorfindet.

Vielmehr kommen gleich nach Haholds Tode auch hier die Grafen des übrigen großen Westfalengaues vor, die wiederum auch nur die Beamtengewalt eines Grafen ausübten und ihr Territorium nicht über diese dem Reiche unmittelbar zustehende Gegend auszuüben vermochten.

(§.7.)

2. Die Nobiles, (Dynasten) im Allgemeinen und die Rüdenburger insbesondere

Der eigentliche erbliche Geschlechtsadel, der natürlich auch zu den Freien gehörte und auch Grundbesitzer war - soll ja doch Od-Gut und Allod mit Adel stammverwandt sein! - gehört zu den interessantesten Erscheinungen im Germanischen Staatswesen. Tacitus nennt diese Klasse der Freien Nobiles, spätere Schriftsteller Adaling.

Worin der Vorzug dieser Klasse bestand, lässt sich schwer definieren. Es war ein Vorzug, den sie immer gehabt, den jeder kannte und achtete, ohne zu wissen, woher er war. Er lag besonders in der höheren Geburt, im Angehören zu gewissen Geschlechtern, deren Blut eben besser, vorzüglicher war, als das der Gemeinen. Ihr Ursprung war daher ein höherer, ehrwürdiger, ja göttlicher.

In den Staaten des Altertums haben wir ganz dasselbe Verhältnis. Die Griechen leiteten den Ursprung dieser Stämme von Zeus ab - diogeneis - oder mindestens von einem Halbgotte, einem Heros, wie von Theseus, von Herkules. Auch in Rom gab es solche altehrwürdigen Geschlechter, wie das des Julius, das von der Venus entsprossene. Aus solch' ausgezeichnetem Blute nahmen die Griechen sowohl ihre Könige, als die Germanen, nämlich diejenigen Völker, so unter Königen standen.

Selbst Hermann war nicht aus so erlauchtem Stamme; drum ging er unter im Streben nach der Königswürde. Die Germanischen Könige aber leiten von den Göttern ihren Ursprung her, wie wir es aus den gotischen, altnordischen und angelsächsischen Stammbäumen genau wissen. Diese erlauchten Stämme, die gewiss ihre Familien rein und in Ansehen erhielten, dauerten fort bei den Sachsen (Wittikind mochte ein solcher "homo nobilis" sein) durch die Karolingischen Zeiten bis in spätere Jahrhunderte hinein. Es sind die alten, erhabenen Stämme der Dynasten, die ihren Vorzug noch durch den Tacituischen Ausdruck "nobilis" eifersüchtig bewahrten.

Ihre höhere Stellung bewahrten sie ganz besonders dadurch, dass sie nicht als Vasallen in Lehns- und Dienstverhältnisse zu einem Mächtigeren traten, vielmehr selbst andere minder mächtige Edle als Dienstmannen unter sich hatten, sei es, dass sie mit ihrem größeren Allod Andere beliehen, oder dass sich andere in ihren mächtigeren Schutz freiwillig begaben; deshalb ist auch zuweilen in Urkunden "Nobiles" gleichbedeutend mit "liber". Nahmen die "Nobiles" auch selbst von Kirchenfürsten und Grafen einzelne Lehen an, so geschah dieses doch nur in der Art, dass sie dadurch nicht zu Ministerialen hinabsanken; gingen ja doch selbst Grafen und Fürsten wiederum vom Reich zu Lehen.

Die Allgewalt des Lehnswesens, sein Durchdringen aller Verhältnisse vom höchsten bis zum niedrigsten, der Zentralpunkt aller mittelalterigen Zustande ist zu bekannt, als dass hier eine Darstellung derselben nötig wäre.

Auch die Rüdener Geschichte beruht mehr oder weniger auf dem Lehnwesen, worauf wir also oft noch zurückkommen werden. Die "Nobiles" nun, oder Dynasten waren in der Tat der wahre Adel des Volkes, höher als der ursprüngliche Grafenstand, der ja eigentlich nur Staatsdiener befasste, und hervorragend über den übrigen Stand der Freien. Aber leider konnten sie im Drange der immer neu sich gestaltenden Zeit in ihrer Würde und ihrem Glanze sich nicht halten.

Wie hätten sie es auch vermocht, mit den Grafen, deren Macht und Ansehen in anarchischen und schwachen Reichszuständen immer mehr steigen musste, ja selbst mit dem niederen Ministerialadel, der im Glanze des höheren Herrn Ansehen und Reichtum genoss, Stand zu halten? Die wenigen Dynastengeschlechter starben entweder aus, oder sie sanken immer mehr zum niederen Adel hinab und verloren sich in spurlosem Dunkel.

(§.8.)

Im Herzogtum Westfalen gab es mehrere solcher Dynastengeschlechter, als: Bilsteiner, Grafschafter, Rüdenberger, und minder bedeutende, als: die v. Welwerburg, die Vögte von Soest. Die von Bilstein und von Grafschaft waren gar mächtig und die Gewalt der Westfälischen Grafen in ihrem Gebiete nur unbedeutend.

Uns interessiert gar sehr das nicht minder angesehene alte Geschlecht der Rüdenberge, deren Macht nichts mangelte, als das Zusammenliegen ihrer Besitzungen (Allodien und Lehen). Diese waren so zerstreut, dass es sich nicht einmal mit Sicherheit angeben lässt, ob ihr Stammsitz bei Hamm, bei Arnsberg oder bei Rüden zu suchen.

Dem sei wie ihm wolle; gewiss ist dies, dass sie eine uralte Burg in der Nähe von Rüden besaßen, und dass sie Lehnsherren vieler umliegender Besitzungen und selbst Inhaber großer Güter waren. Das wird auch wohl neben dem Umstande, dass hier viele unmittelbare königliche Güter (der Haupthof in Drewer, Belecke etc.) lagen, der Grund sein, warum im Treveresgau die Grafengewalt sich nicht in eine feste Herrschaft verwandelte. Dann war später das Geschlecht nicht mächtig genug, besonders wegen der vielen Lehen, die sie von Köln besaßen, um den kräftigen Fürsten dieser Lehen (einem Reinold und Philipp) gegenüber ihre Macht und Ansehen behaupten zu können; die von Philipp nicht weit von ihrer Burg angelegte Stadt Rüden brach besonders ihre selbständige Stellung.

Im Anfang des 14. Jahrhunderts hörte der Stamm selbst auf, sich zu den Dynasten zu zählen und nahm Dienstmannsdienste auf der Erzbischöflichen Burg zu Rüden. Ihre Lehen wurden nunmehr Kölnische Lehen, und die späteren Kölnischen Lehnsbriefe bezeichnen noch die alten Rüdenberger Lehen ausdrücklich mit diesem Namen.

II. Die Dienstmannen im Allgemeinen und die Rüdener insbesondere

(§.9.)

Der dritte Stand der Germanen war der der gemeinen Freien, deren Stellung schon oft genug auseinander gesetzt ist. Von alten Zeiten her bis in die Karolingischen hinein, blieb die Lage derselben sich ziemlich gleich, bis auch in Westfalen das Lehnswesen sich aller Verhältnisse allgewaltig bemächtigt hat.

Dadurch kam dieser Stand der freien Landbauern immer mehr in Abnahme, weil sie ihre freie Stellung, namentlich wegen der so drückenden Heeresfolge nicht behaupten konnten. Diejenigen, die den Zeitverhältnissen nachgebend, auf ihre Freiheit verzichteten, trugen ihr Besitztum zu Lehen auf und wurden dafür durch neues Ansehen und neue Macht entschädigt. Sie machten den Stand des Ministerialadels aus und waren als Ritter (milites) und Knappen (famuli) dem Lehnsherrn zu Treue und Hilfe verpflichtet und erfreuten sich dafür dessen Schutzes und Beistandes, so wie eines eigenes Rechts.

Von ihrem alten freien Besitz, so jetzt Lehngut geworden, nahmen sie ihren Namen an. Fast alle ursprünglich freien Besitzer der alten Haupthöfe in der näheren und weiteren Umgegend von Rüden sind in den nach den Haupthöfen benannten Familien zu erkennen. Wir nennen hier schon die Ritter von Rüden, Miste, Knevelinghausen, Kellinghausen, Langenstraße, Drewer, Effeln, Nesselnstedt, Mülheim, Warstein, Uelde, Mellrich, Allagen usw. Wieder andere dieser Gemein-Freien sichten sich dem Drucke des Heerbannes und des Lehndienstes zugleich dadurch zu entziehen, dass sie sich als freie Bürger in den von den Landesherren allmählich angelegten Städten niederließen, wo sie, wenn auch in ganz anderer Weise, im städtischen Gemeinwesen der Freiheit genossen.

Selbst diejenigen, die schon als Ritter Dienstmänner waren, suchten gern in Städten Schutz und Vergnügen und neues Ansehen in der Handhabung des städtischen Gemeinwesens. Auch hierfür gibt uns Rüden einen interessanten Belag. Vom Landesherrn zum Landesschutz angelegt, barg die Stadt bald außer den zu Bürgern eingezogenen Gemeinfreien (deren Herkunft oft noch der Name anzeigt), auch die vorgenannten Dienstmannsgeschlechter und außer ihnen noch viele andere Ritter von nah und fern, dem Landesherrn (als besonderer Stand) willkommene Besatzung der Feste, den übrigen Bürgern recht bald vielleicht als Herren, da sie gern das Gemeinwesen allein geleitet.

Wieder andere der Freien sanken wohl schon recht bald durch Verarmung, Gewalttat oder andere widrige Umstände in die Klasse der Hörigen oder der Leibeigenen herab; war es ja schon bei den alten Germanen nicht selten der Fall, dass ein Freier sogar seine Freiheit verspielte Die Spielsucht tritt auch noch später bei unseren Voreltern oft recht eklatant hervor. Verspielte doch 1360 der Ritter Idel Walrabe das Dorf Süddinker, seine Pferde und Kleider, und dessen Knechte die Sättel, Zäume und Büchsen! S. Beerschwort Stammbuch S. 510. Eine Sage über den spielsüchtigen Timo, Ritter zu Soest, hat Krüger bearbeitet in seinen Westfälischen Volkssagen.. Wie mancher ursprünglich freie Mann mochte bei ehemaligen Standesgenossen seine Tage als Knecht vertrauern! Von ihnen gibt die Geschichte keine Kunde mehr.

III. Die Freien und das Freigericht

(§.10.)

Zum Vierten erwähnen wir noch eine Klasse - der ehrenvollsten - der Freien. Es sind die, die ihre Freiheit trotz aller Stürme der Jahrhunderte rein bewahren und nur im Könige oder Kaiser ihren Herrn erkannten. Diese auch bewahrten die Reste der altgermanischen Volksversammlung, der alten Volksgerichte, welche Gleiche über Gleiche urteilten.

Unfreie hatten keinen Anteil an ihnen. Je geringer ihre Zahl war, desto abgeschlossener, geheimnisvoller ihr Gericht. Das alte Freigericht wurde zum Femgericht, die wenigen Freien zu Schöppen. Das Freigericht stand unter dem Könige; er hatte den Vorsitz, und nur er konnte den Stuhl der Freigerichte verleihen, den Freigrafen einsetzen, oder doch das Recht dazu erst einem Anderen verleihen.

Auch Rüden hatte noch seine Freien, die noch später ein eigenes Freigericht erhielten. Als die nicht mehr Freien vom alten freien Volksgericht ausgeschlossen waren, erhielten sie ihr eigenes Landesherrliches Gericht, das ihr nächster Landes- oder Lehnsherr ausübte. Es bekam den Namen Gogericht, und hat als zweiter Zweig des alten Gaugerichts nur den Namen behalten; das Wesen lebte fort im Freigericht. Aber auch diese Freien konnten ihre Haltung nicht bis jetzt erhalten und so ging der ganze Stand spurlos unter. Das Rüdener Gogericht aber hat bestanden bis fast zu unseren Tagen. Die Freien selbst aber hatten unter sich auf ihren Gehöften hörige Leute, die solches immer gewesen oder durch Gefangennahme und andere Unglücksfälle es geworden waren.

So also waren auch die Urbewohner der Rüdener Markenechte Germanen mit echt germanischer Verfassung, mit Grafen und Dynasten, mit freien Landbauern und Hörigen, mit alten Landgemeinden und späteren städtischen Verfassungen, mit edlen Burgmännern und Bürgern, und mit hörigen Kolonnen. Eigentliche Leibeigenschaft weißt uns hier die Geschichte nicht nach - eine erfreuliche Erscheinung -.





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