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Band 3

DIE EIGENTLICHE INNERE STADTGESCHICHTE

1. Abschnitt - Übersichtliche Darstellung der Entwicklung und Ausbildung des Rüdener Stadtwesens im Zusammenhang

Kapitel 1

Grundlage des Rüdener Stadtwesens auf den germanischen und karolingischen Einrichtungen

A. Einleitende Bemerkung

(§.96.)

Unter den deutschen Städten lassen sich ihrem Ursprunge nach zwei Klassen unterscheiden, nämlich diejenigen, welche allmählich auf Grundlage der alten Landgemeinde wie von selbst heranwuchsen und die Stadtrechte sich erkämpften, und dann diejenigen, welche nach einem bestimmten Plane auf einmal gegründet wurden, und der Gunst ihrer Gründer das verdanken, was die ersteren sich erringen mussten.

Der Ursprung der zuerst bezeichneten Städte ist mehrfach. Gallische Sitte war es, jedem Volksstamme in einer Stadt einen festen Anhaltspunkt, einen Waffenplatz zu gewähren. Im Westen und Süden Deutschlands gibt es noch einzelne dieser Art. Nicht minder alt sind die Städte Deutschlands, die aus römischen Standlagern erwuchsen. Echt deutsch sind die Städte, die dem Christentum ihren Ursprung zu verdanken hatten.

Klöster, Stifter, bischöfliche Hauptkirche sammelten sich um die Wohnungen der Geistlichen, der Diener, der notwendigen Handwerker; der von selbst entstandene Verkehr lockte des Gewinns halber immer mehr Ansiedler an, die den Andächtigen einen Markt, eine Messe eröffneten, und unter de4m Schutz des Kirchenheiligen oder Kirchenoberen friedlichen Verkehr trieben. So entstand Marsberg, Meschede, Münster und viele andere.

Andere Gewerbetreibende zogen weltlichen Schutz vor, und bauten sich unter einer kaiserlichen Pfalz oder Grafenburg an, wie die Urbewohner von Werl und Arnsberg. Überfahrten, Mühlen, Landstraßen boten ebenfalls Aussicht auf reichen Gewinn und frohen Lebensgenuss, so dass leicht Städte wie Frankfurt, Mühlheim, Straßburg und andere entstanden.

Der zweiten Klasse von Städten liegt die Idee des großen Heinrichs von Sachsen zugrunde, der in ihrer Anlage nur Waffenplätze gegen feindliche Überfälle beabsichtigte. Offenbar waren seine Städte "urbes", eigentlich nur feste Burgen mit der notwendigsten Mannschaft und den allernotwendigsten Gewerbetreibenden. Nach dieser Idee gründeten die Erzbischöfe von Köln in Westfalen feste Grenzburgen mit zugehörigen Stadtgemeinden.

B. Rüdens Gründung und die Stiftungsurkunde

(§.97.)

Hierher gehört nebst den Nachbarstädten Kallenhardt, Belecke, Warstein, dann auch unser Rüden. Der Zweck der Anlage dieser Stadt ist klar und deutlich schon in der Stiftungsurkunde von Erzbischof Adolf I. von 1200 (Seibertz Urkb. I. Nr. 113) ausgesprochen, worin es heißt:

die Mauern und Befestigungen der Stadt, die wir bei Rüden (Alten-Rüden) zum Landesfrieden neu erbaut haben (intra muros et fossata oppidi, quod apud Ruden pro pace terrae de novo construxismus) und in welche wir jeden von den Dienstmännern der Kölnischen Kirche einzusetzen das Recht haben (quemcunque de ministerialibus beati Petri instituare decrevimus).

Dieser Zweck freilich wäre durch Anlage der Burg schon allein erreicht gewesen, aber zu lockend war offenbar der Nutzen, welchen Adolf mittelbar in dem Wohlstande einer tätigen Bürgerschaft, unmittelbar aber in den ihm erwachsenden landesherrlichen Gefällen, in der Abgabe von jeder Hausstatt (censu arearum), in den Zöllen (thelones), in der Münze (moneta), in den Gerichtseinkünften (judiciis), in der für Befreiung vom Heerbanndienste gezahlten Steuer (bede, petitione) und in vielen Abgaben (aliis quibuscunque emergentibus) sich versprach, als dass er nicht seinen Schultenhofe (villicatis), auf dessen Grund und Boden er die Burg gegründet, und den sich aus der umliegenden Mark ringsherum sich ansiedelnden Bauernschaften das altberühmte Soester Stadtrecht (jus et libertas, quam etiam oppidum Susatum sive aliae nostrae civitates habent) hätte verleihen und für die Stadt recht väterliche Sorgfalt tragen sollen, die außerdem ja noch eine feste Stütze gegen Anmaßung äußerer Feinde und mächtiger Großen im Innern zu werden versprach Die Städte dieser Gegend waren ein sicheres Bollwerk namentlich gegen die kriegerischen Fürsten Paderborns, zugleich aber eine sehr unwillkommene Erscheinung für die im Herzen Westfalens sitzenden Grafen von Arnsberg, die wegen der Anlage Rüdens durch Verleihung der Hälfte der ebenbezeichneten Einkünfte gleich bei der Gründung der Stadt 1200 beschwichtigt wurden, die aber wegen der Vesten Warsten, Belecke, Kallenhardt sich noch später gar sehr beschwerten..

Deshalb erscheint die Stadt Rüden gleich bei ihrer Gründung ganz planmäßig und vollständig angelegt. Wir haben so eben in der Urkunde von 1200 schon die Mauern und Festungswerke mit der Dienstmannschaft, die Wertpfennige, den Zoll, die Münze, das Schulzenamt, die Gerichte, das Soester Recht, ausdrücklich angeführt gefunden. Die Bede in Rüden kommt in einer anderen Stelle bei Seibertz Urkb. I. S 612 vor.

C. Bestandteile der Bevölkerung Rüdens nach Ständen, geschichtlich nachgewiesen auf Grundlage germanischer und karolingischer Einrichtungen

(§.98.)

Brauchen wir also bei Rüden im Allgemeinen nicht nach einer allmählichen Entstehungsgeschichte des errungenen Stadtwesens zu forschen, steht vielmehr die Stadt auf einmal, wenigstens dem Plane nach, vollendet da, so hat das Rüdener Gemeinwesen im Ganzen und Einzelnen sowohl in Adolfs Verleihungen, als in den darauf gründenden weiteren freien Entwicklungen des Bürgertums im Inneren, doch das mit allen anderen gemein, dass die endliche Grundlage aller Einrichtungen doch nur auf der altgermanischen und karolingischen Verfassung beruht.

Die Gründung von 1200 war eben nur das Fundament für die allmähliche Vergrößerung und die weitere freie und selbstständigere Entwicklung. Immer mehr neue Ansiedler, Freie und Unfreie, Handelsleute und Gewerbetreibende fanden in den Mauern Schutz und Vorteil. Für jeden Stand hatte die neue Stadt Anziehendes. Vor dem Drucke der Höheren rettete der freie Wehre seine Freiheit im Schutze der Mauern, fand der Schutzhörige, überhaupt der Unfreie (Handelsmann und Gewerbetreibende) Schirm und Schutz, wo gar bald die Gewohnheit oder das Gesetz ihnen völlige Freiheit verschaffte. Die drückende Heerbannspflicht, die große Grafengewalt und Gerichtsbarkeit zwang den gedrückten Freien zur Flucht in die Städte, weil diese, wie Wigand in seinem "Fehmgericht" S.15, a.7. sagt, sich unmittelbar aus den freien Landgemeinden zurückzogen, und mit ihren Mauern auch zugleich alte Freiheit und verfassung umgürteten.

Auch der unvollkommene Freie, der durch freiwillige Uebergabe seines Erbes in den Schutz eines Mächtigern, als Dienstmann nur gegen Druck sich schützte, oder, der Ehre des Kriegsdienstes entsagend, als bloßer Schutzhörige der Kirche, sich dem Handel und anderen Gewerben widmete, fand nicht nur Schirm und Recht in der Stadt, sondern Gewohnheit oder Recht verschafften ihm bald die völlige Freiheit wieder.


Da Bauleute, Waffenschmiede und in allerlei Kunstfertigkeit erfahrene Leute zur Bestreitung der Bedürfnisse von Ritter, Kirche und Bürger bald Ansehen und Ruhm erhielten; als sie nun gar, wie Ritter und dem freien Stande angehörige Bürger, Teilnahme an der Verwaltung und dem Gerichte erhielten, herrschte nur sichere und fröhliche Freiheit innerhalb der wohlhabenden Mauern, so dass selbst manche ritterbürtige Familien das einfache Landleben gern mit den Annehmlichkeiten und Vorteilen der Stadt vertauschten.

Von Leibeigenen, die Rüden aufgenommen, weiß die Geschichte nichts. Aber auch diese würden, so wie anderswo, gar bald Freiheit erlangt haben in der Stadt, wo ja allein nur noch volle Freiheit herrschte.

Meldet uns auch die Geschichte nicht ausdrücklich, wann und wie die Rüdener Bürgerschaft aus den verschiedenen Ständen der altgermanischen Verfassung allmählich entstanden, so lässt sich die Wahrheit dieser Darstellung doch aus näherer Betrachtung einiger unbedeutend scheinenden Umstände außer Zweifel stellen.

(§.99.)

  1. Die Freien und das Freigericht.
    Es ist schon gesagt worden, dass das alte Grafengericht sich allmählich in zwei zweige spaltete, in das Freigericht für die wenigen völlig freien Leute und dann in das Gogericht für alle übrigen unvollkommenen Freien oder ganz Unfreien. Da nun in Rüden beide Gerichte waren, so scheiden sich hierdurch die Einwohner, die vor das eine oder andere Gericht gehörten, in Freie und nicht Freie. Alle schöffenbar freien Leute, oder alle Freischöffen in Rüden, gehören dem Stande der Freien an.
  2. Die Rüdener Burgmannsgeschlechter
    Zu den nicht Freien gehörten diejenigen, die sich unter Übernahme des Kriegsdienstes in den Schutz eines Mächtigeren, hier die Kirche von Köln (ministeriales Santi Petri: Urkunde von 1200), begaben. Sie sind die Rüdener Burgmannsgeschlechter. Auf sie bezieht sich in dem großen Siegel der Gesamtbürgerschaft die Burg. Siehe auf der Anlage II. Nr. 1 Ihre Genossenschaft hatte zum Schutzheiligen den ritterlichen heiligen Georg, der nebst dem heiligen Erzengel Michael, der Lieblingsheilige der ritterhaften Deutschen war. Er, der ritterliche Verteidiger der Unschuld und der heiligen Kirche, ist so recht das Sinnbild der ganzen Ritterschaft. Deshalb war die Rüdener Burgkapelle, älter als die Stadtkirche, dem heiligen Georg geweiht geweiht. Der h. Georg mag auch das Siegel der Ritter gewesen sein; nach uns gewordener Mittheilung des Magistrats befindet sich an einer Rüdener Urkunde von 1484 ein beschädigtes Siegel, welches einen geharnischten Ritter, Thürme und Mauern darstellt.
  3. Schutzgenossen
    Diejenigen Unfreien, so keine Kriegsdienste tuend, als Handelsleute und Gewerbetreibende sich in den friedlichen Schirm der Kirche begaben, hatten in Rüden den heiligen Nicolaus gewählt, den Deutschen der Schutzheilige des Handels, dem in den Handelsstädten die Kaufleute sich übergaben und von ihrem Reichtume die Marktkirchen zu gründen pflegten. Der h. Nicolaus (um 342) war Bischof zu Myra in Lycien. Kaufleute von Bari brachten des Heiligen Gebeine 1087 nach Italien. Daher wohl dessen Beziehung zur Kaufmannschaft.

    Auch in Rüden gehörte die eine Stadtkirche dem heiligen Nikolaus. Nach der Ritters haft war also wohl die Korporation der Handelsleute der älteste und mächtigste (freilich auch der zuerst verschwendende) Teil der Bürgerschaft, während die übrigen Handwerksgilden minder hervorragende Schutzheilige hatten.

    Diesem heiligen Nicolaus mochten sich Viele in Schutz gegeben haben. Dass er als: "wirklich rechtliche Person" betrachtet wurde, folgt aus oben mitgeteilten Lehnsurkunden-Stellen, nach denen er Güter zu Lehen trug. In denselben wird er auch Hovelherr (Hauptherr) zu Rüden genannt.

    Dass die Ritterschaft und Handelsgilde ursprünglich die ganze Bürgerschaft repräsentiert, ist im schönen Sinnbilde dadurch angedeutet, dass im großen Stadtsiegel oberhalb der Burgmauer der heilige Nicolaus erscheint, während das Sekretsiegel der Stadt bloß den heiligen Nicolaus darstellt. Als später alle diese Verhältnisse nicht mehr verstanden wurden, nahm auch die Stadt ein anderes Siegel an, Siehe auf der Anlage II. Nr. 2 nämlich ein aufrecht stehenden Kreuz mit fünf Rhomben (Rauten), von denen eins in der Mitte des Kreuzes, die vier übrigen zwischen je zwei Balken des Kreuzes stehen. Das Siegel der Burgmänner, nach einer Urk. von 1308, ist in Seibertz Urk. B. Tab. VII. 4. abgebildet und danach auf der Beilage unter Nr. 1. mitgetheilt. Es enthält eine unter einem Thore sitzende Gestalt und die Umschrift: Sigillum castrensium de Ruden. Ebendaselbst ist das Stadt-Siegel von 1282 mit dem h. Nicolaus oberhalb einer Mauer mit Zinnen und der Umschrift: Sigillum Burgensium (das heißt: Bürger, und nicht Burgmänner) civitatis Ruthen, abgebildet, ebenso das zugehörende Secretsiegel, den h. Nicolaus enthaltend, mit der Umschrift: Sigillu. secretu. opidanor. rude.

    Letzteres ist auch nach einer Urk. von 1454 in Wigand's Archiv IV.1.5. abgebildet. Dies Siegel ist in Silber gestochen, und wird der Stempel in Rüden aufbewahrt. Die Stempel der beiden ersteren Siegel werden wohl verloren sein.

    Von dem großen Stadtsiegel aber ist ein, von dem bei Seibertz abgebildeten Siegel wenig abweichendes, großes Siegel mit derselben Darstellung und Inschrift in Kupfer gearbeitet, in Rüden vorhanden.

    Man hält dies schöne Stadtsiegel mit Unrecht für das Burgherrnsiegel. das Kreuz des jetzigen Siegels ist ohne Zweifel das Churkölnische und die fünf Rauten sind aus dem mißverstandenen Namen der Stadt Rüden genommen.

    Auf einem vorhandenen Gemälde scheint das Kreuz auf goldenem Grunde zu stehen; da aber das Kölnische Schwarze Kreuz sich in silbernem Felde befindet, so dürfte in jenem Gemälde der ursprüngliche silberne Grund vielleicht durch äußere Einwikungen einen gelblichen Schimmer bekommen haben.

    Das von Seibertz ebendaselbst nach einer Urkunde von 1612 mitgetheilte Siegel mit dem beschriebenen jetzigen Wappen dient noch bis auf die Stunde, in demselben Stempel, zum Dienstsiegel. Das Magistratssiegel enthält in länglichrundem Schilde das Stadt-Wappen, oben eine fünfzinkige Krone; an der Seite sind Eichenzweige. Die Umschrift ist: Magistrat zu Rüthen.

D. Örtliche Bestandteile der Stadt und Wollmeine von Rüden.

Ausführliche Entwickelung der Marken- und Bauerschaften-Verhältnisse im Rüdener Feld und Holz.

(§.100.)

Ferner ist es gewiss interessant das übrige ganze Fachwerk der altgermanischen und karolingischen Verfassung in den Rüdener Stadt- und Gemeindeverhältnissen wieder zu finden.

Der große Westfalengau, der namentlich von Seibertz in seinem ganzen Umfange und dem einheimischen Grafengeschlechte näher bestimmt worden ist, umfasste mehrere Unter-Gaubezirke unter Unter-Gaurichtern, von denen einer unser Treveresgau ist, den wir oben beschrieben haben. Dieser bestand, wie alle übrigen, wieder aus mehreren Marken, die Marken aus Bauerschaften, und dieser engste Verein ward gebildet von den einzeln freien Besitzern eines Erbe.

"Auf dem freien Besitz eines Erbes", sagt Wigand, Fehmgericht S. 14, "beruhte Recht und Verpflichtung der Staatsgesellschaft; alle bürgerliche Ehre und Rechtsbefugnis ging davon aus."

Mark bezeichnete den Verein der Freien der Bauerschaft in Bezug auf Grund und Boden; und insofern hießen sie Markgenossen, hatten ihre Versammlungen, Markensprachen, unter Markenrichtern. Die Mark war teils bebaut, teils unbebaut. Kindlinger M.B.II.S.4a.

Der bebaute Teil der Mark war eben das Eigentum oder Erbe der Freien, welche sich dasselbe urbar gemacht hatten. Der urbare Markenteil nun war eben die Bauerschaft, und erhielt den Namen vom Haupthofe, dessen Hofgenossen das Feld (Hofesaat) bebauten. So viele Haupthöfe zur Mark gehörten, so viele Bauerschaften gab es auch, deren jede den Namen des Haupthofes führte. Solche Bauerschaften waren Brunwardinghausen, Schnewardinghausen, Hadwardinghausen, Meeste; die Dorfschaften Alten-Rüden, Miste und Kneblinghausen waren wohl aus mehreren Bauerschaften erwachsen.

Der übrige unbebaute Teil der Mark, rund um alle Bauerschaften gelegen, war die eigentliche zusammenhängende, alle Markgenossen gemeinsame, für alle offene Mark. Die offene Mark diente zur gemeinsamen Benutzung von Gehölz, Brüchen, Weiden, Heiden, Mooren (Siepen genannt), Gewässern, Weide und Wald. Deshalb hieß sie auch Allmeine oder Wollmeine, welcher Ausdruck für die Rüdener Mark der gewöhnliche ist.

Die Hofesgenossen hatten unter dem Hofrichter (Besitzer des Haupthofes) ihre Hofsprache, wo Hofesangelegenheiten nach Hofesgewohnheiten und Hofesrecht abgemacht wurden. Da die zum Haupthofe gehörige Bauerschaft auf dieselbe Weise ihre Angelegenheiten abmachte, so heißt die Hofsprache auch Bauersprache, Bauerrecht, der Richter der Bauerrichter.

Die Bauerschaften der Rüdener Mark mit ihren Bauersprachen und Bauerrichtern gingen unverändert mit in die Stadt hinüber. Wo ein Haupthof der Kirche gehörte, also nicht der Erbe selbst der Bauerrichter war, da stellte sie einen Verwalter an, der Schulte (lat. Villicus) hieß. Die Bauerschaft selbst aber war eine "Villication". Wo die kölnische Kirche auf ihren Schultenhöfen, Schultenämtern oder Villicationen Städte gründete, blieb der Schulte nicht nur Richter der Villication, sondern gewöhnlich auch Oberrichter der nicht zur Villication gehörigen Ansiedler. Die erzbischöfliche Villication in Rüden unter den Schulten kommt schon in der mehrfach berührten Urkunde von 1209 vor.

Die Genossen mehrerer Bauerschaften aber, die ihren nächsten Einheitspunkt in der gemeinsamen Mark fanden, konnten ihre gemeinsamen Angelegenheiten nicht mehr in der Hofes- oder Bauersprache abhalten, sie mussten in einer eigenen Sprache in der gemeinsamen offenen Mark zusammentreten.

Diese Zusammenkünfte waren die Markensprachen, das Gericht das Markengericht, das Gewohnheitsrecht das Markenrecht, die Gerichtsgenossen die Markgenossen, die Gemeinde die Markengemeinde, die Gerichtsstatt die Malstatt oder das Ding, gelegen für die Rüdener Mark mitten im Walde unter der alten Dingbuche in der Mister Mark, da wo die Büern'sche und Brilon'sche Grenze mit der Rüdener zusammenstößt, wo also mehrere Marken sich scheiden.

Die Scheidungen, Grenzen der Marken, Schnaden genannt, und die darüber entstandenen Irrungen waren natürlich eine Haupt-Angelegenheit der Markensprachen. Die Markenschnade oder Wollmeineschnade beruhte, da man Waldmessungen und karten noch nicht kannte, bloß auf gemeinschaftlicher Willkür; diese setzte die heiligen Schnadbäume, Steine, Dämme, Knicke usw., welche die Marken absonderten, das Holzungsrecht und die Hude trennten.

Durch von Zeit zu Zeit veranstaltete Besichtigung wurden die Schnaden im lebendigen Andenken gehalten. Bei den Markenversammlungen nun fand auch der Markengang statt, wodurch die Markengrenzen und Markenverabredungen heilig bewahrt wurden; deshalb nahmen auch die späteren Kirchspiel-Prozessionen oder Gottes- und Heiligentrachten ihren Zug nach dem Markengange. Sind auch die Markengänge selbst in Abgang gekommen, so haben doch die in Westfalen bis ins vorige Jahrhundert gebräuchlichen Schnadezüge Die Schnadenzüge sind in neuerer Zeit Gegenstand der Beachtung der Behörden geworden, von 1817 (Rescript des Ministeriums des Innern vom 6. Juli) an, wo sie zwar noch gestattet, aber für nicht nothwendig erklärt werden, bis zu deren Verbote 1841. Siehe Warst. Gesch. S.237. der Städte dorther ihren Ursprung genommen, und erlauben einen Schluss auf den alten Markengang.

Ist ja das ganze Stadtrecht und die ganze Stadtverfassung nur eine Übertragung der alten Landgemeinden-Einrichtungen auf die Städte. Wenn Kindlinger M.B. II. S. 215 bemerkt, dass die Grenzpfähle ehedem mit Bildnissen geschmückt gewesen, oder doch so eingerichtet gewesen, dass man bei dem Schnadezug, bei den großen Prozessionen, das Bildnis des Kirchenpatrons darauf setzen konnte, und daher der Ausdruck Weichbild entstanden sei, Andere von Wih heilig und pilidi Bild, Andere von Wih goth. veihs und pilidi, daher vicus pili so viel als Stadt-Recht. so mag er nicht Unrecht haben, obgleich wir den ersten Teil des Wortes lieber von Wich, vicus, ableiten möchten, als von weichen (als wenn an den Bildern die Stadtgerichtsbarkeit gewichen wäre).

Auch die Stadt Rüden hatte ihre Schnade- oder Wollmeinezüge, die die Feldfluren und Wälder Rüdens und der oft bezeichneten Stadtdörfer und Höfe umfassend, uns ein sicheres Anzeichen für den Umgang der alten Markgrenze dieser Gegend abgeben. Wir wissen aus den erhaltenen Stadtprotokollen genau, dass hier ein heiliges Kreuz, dort ein sog. Heiligenhäuschen, hier eine uralte Buche, dort mit dem Wappen der Grenznachbarn versehene Steine, hier eine Landwehr, dort ein Knick (ein Aushau im Walde) die Wollmeine schnadete.

Diesen selben Weg nahm auch ehedem, wie wir von Röingh wissen, die große Stadtprozession. Auf der Südgrenze des Stadtgebietes stand eine Kapelle, wo Rüden mit Kallenhardt grenzte. Hier hielt die Stadtprozession an, und der Berg, worauf dieses geschah, heißt Bilsberg, welcher Umstand obige Ableitung von Weichbild bestätigen dürfte.

Da nun Rüden mit den Stadtdörfern eine einzige Allmeine hatte, deren Umfang, wie er vor der kürzlich erfolgten Teilung war, wir ganz genau kennen, so kennen wir auch ganz genau den Umfang der alten Mark, wozu Rüden gehörte.

(§.101.)

Der Hauptbestandteil jeder Mark aber war der ungeteilte Wald, die gemeinsame Holzung, weshalb man auch so leicht aus Woll- oder Wallmeine Wolde- oder Waldemeine machte; so nannte man auch das Markengericht auch wohl Holzgericht oder Holtding. Der Richter auf dem Holtding war dann der Holzgraf (Holtgreve), dessen Gerichtsbezirk die Holzgrafschaft. Die Holtgreven sind übrigens erst eine aus der karolingischen Verfassung entstandene Erscheinung. Die Holtgreven sind eigentliche Beamte, so gut wie die Frei- und Gografen. Zuweilen aber war das Holzgericht auch reines Eigentum der Besitzer des Haupthofes.

Diejenigen Marken, deren genossen ihren gewählten Markenrichter behielten, hießen freie Marken. Auch in der Rüdener Mark gab es 1191 einen Holtgreven, der in Miste vorkommt. Die Holzgrafschaft klebte an einem bestimmten Hofe in Miste noch in spätern Zeiten, da man nicht mal mehr wusste, was dieselbe zu bedeuten habe. Wenn wir noch hinzunehmen, dass die Stadt Rüden ihre "jura nemoralia" von Miste herleitet, so dürfen wir vermuten, dass in Miste der Haupthof der fraglichen Mark zu suchen, dass Miste der Mittelpunkt derselben gewesen sei.

Die Mark, die wir vorläufig als die Rüdener bezeichneten, war also vielmehr die Mark Miste. Dies ist mehr als Vermutung; es steht sogar urkundlich fest. Denn 1191 schon wird von den Bewohnern der Mark, welche die Mister Kirche gründeten und dotierten, ganz ausdrücklich gesagt, dass sie Markgenossen in Miste genannt werden (Seibertz Urkb. I. S. 133: Marknothenn in Miste). Deshalb heißt auch schon seit den älteren Zeiten bis auf den heutigen Tag der größte Teil des Rüdener Stadtwaldes: Mestermarket, Mistermark. Und siehe da den Grund, weshalb der Ort Miste heißt: d. i. Mittelsassen, weil hier der Mittelpunkt der Mark war.

(§.102.)

Die ganze Landgemeindeverfassung ging in die neu angelegte Stadt über. So die alten Landgerichte. Deshalb finden wir später in Rüden nicht nur die vier Bauerrichter, sondern auch die Holzgrafen wieder. Der alte Markbeamte war ein Stadtbeamter, wenn auch in einer untergeordneten Stellung.

Aber nicht nur dies, selbst die Markensprachen gingen in die Stadt über, bloß mit veränderten Namen. Sie hießen mit Recht Bürgersprachen. Von ihnen gibt uns Röingh Nachricht. Alle Markgenossen wurden natürlich nunmehr Stadtgenossen oder Bürger, die, wie früher an der Malstatt, jetzt in der Stadt ihre Gerichte hatten. Obgleich sich nicht alle Markgenossen innerhalb der Mauern ansiedelten, so hatten doch alle gleiche Rechte, alle gemeinsamen Anteil an der alten offenen Mark, d. i. an der Wollmeine, waren doch alle Bürger der Stadt.

Deshalb sind die Bewohner der sog. Stadtdörfer und Höfe immer Rüdener Bürger gewesen. Die 1191 in Miste von den Markgenossen gegründete Kirche war so recht eigentlich die Markkirche. Als die Stadt gegründet, blieb der Mittelpunkt der Mark nicht mehr bei den Mittelsassen, bei der Markkirche, er ging vielmehr in die Stadt über und der Hauptplatz der ersten Niederlassung wurde Mark (später Markt) genannt, und das Rathaus vertrat die alte Mahlstatt und die Marktkirche die Markkirche.

(§.103.)

Wie schon gesagt, bestand die Mark aus Bauerschaften (villae), die eben am gemeinsamen Anteile an der offenen Mark ihren Einheitspunkt hatten. Sie entstanden aus einem uralten, ursprünglichen Haupthofe; den davon abgestammten Erben (zusammengehalten durch Geschlechtsverband des Vaters, d. i. Hofesoberhauptes, der Söhne und Enkel) und anderen Familiengenossen, und hofhörigen Leuten.

Solche Bauerschaften waren (Alten-) Rüden, Knevelinghausen, Meeste, Miste, Brunwardinghausen, Hadwardinghausen, Schneverdinghausen und vielleicht noch andere (die einzelnen Höfe: Fahlenhof, Ettingerhof, Aschental gehörten mit zu den Genannten). Die Bauerschaften (collegium convivii sive Burscapii, Burschhof, Bauergilden, Bargilden, Bergildi) unter Bauerrichtern (Burrichtern, Burgericht) hatten ihre Versammlungen, die "Thy" genannt wurden, welches Wort nach Wigand von Thegge, Zehn hergeleitet wird und seinen Ursprung einer alten Einteilung, der die Zahl 10 zugrunde lag, verdankt. Thygräfe wäre also so viel als Zehngraf (decanus, decania, Zehnte).

Auch die Bauerrichter gingen mit in die städtische Verfassung hinüber. So gab es in Soest Burrichter, deren Versammlung "Ty" (tyggen) hießen und die über geringe Gegenstände erkannten, über kleine Schulden und Diebstähle. Selbst in Köln darf man von den dortigen Burrichtern auf die in die Stadt aufgenommenen Bauerschaften schließen. Die Stadt Lemgo bestand 5 Bauerschaften. Ebenso gingen 4 Bauerschaften in die Stadt Rüden hinüber.

Wenn nicht alle Bauerschaften der Mark Miste dieses taten, so darf uns das gar nicht wundern. Denn schon vor Entstehung der Stadt hatten sich zu (Alten-) Rüden um die uralte Kirche, so wie um das Holtding und die Markkirche Dörfer (Miste und Knevelinghausen) gebildet. Diese hatten Grund genug, den väterlichen Wohnsitz nicht zu verlassen.

Andere Bauerschaften in der nächsten Nähe waren nicht so sehr an den Boden gekettet, da sie noch nicht Dorfgemeinden bildeten und die Vorteile des Stadtlebens lockten. Die einzelnen Höfe (Ettinger-. Fahlen- und Aschentaler Höfe) entstanden vielleicht erst später. Die Zahl der Bauerschaften aber, die sich aus der Mark in die Stadt ansiedelten, war vier, die noch bis in die spätesten Zeiten, als die Urbestandteile der Stadt, erkennbar sind.

Die Bauerschaften mit ihren Einrichtungen blieben, nur dass sie jetzt, statt auf dem offenen Lande, in der Stadt wohnten. Deshalb bestand bis jetzt die Stadt Rüden aus vier Vierteln oder vier Bauerschaften, die in Bezug auf Hude nach bestimmten Grenzen geschieden sind und noch spät unter vier Bauerrichtern standen. Ihr Geschäftskreis war später nur noch unbedeutend und untergeordnet. Hudeangelegenheiten scheinen besonders ihre Sache gewesen zu sein. Röingh gibt Nachricht über sie. Früher mochten sie die Stellung wie die Mester Bauerrichter gehabt haben, und die in Rüden vorkommenden Tyggen sind uralt.

In anderen Städten kam das Bauergericht an den Raco, Gerichtsfrohn, Frohnboten, wie in Dortmund. Und auch diese Frohnen kommen in Rüden vor. Ihre Stellung wird schon im alten Rüdener Rechte bestimmt.

So waren also durch Errichtung der Stadt in der alten Landesverfassung keine sehr wesentlichen Veränderungen vorgefallen. Die ganze Mark Miste war zur Stadt erhoben, die offene Mark war städtische Allmeine, die sämtlichen Markgenossen waren Stadtbürger geworden, die statt der Markensprache ihre Bürgersprache hatten. Hierin endlich liegt die Lösung der Frage über das Verhältnis der Stadtdörfer zur Stadt.

(§.104.)

Über die örtlichen Verhältnisse der vier Rüdener Bauerschaften

Die vier Bauerschaften sind folgende:

  1. Die Schnerings, deren Hude im Südwesten,
  2. die Mittelste im Südosten,
  3. die Öster im Osten und Nordosten,
  4. die Niedere im Norden und Nordwesten liegt.

Dazu kommt noch

  1. die landesherrliche Villication unter einem Schulten, auf deren Grund und Boden Burg und Stadt angelegt worden.

Es fragt sich nun, welches die entsprechenden alten ländlichen Bauerschaften gewesen sind.


So hätten wir denn, wie oben die Bestandteile der Bevölkerung, so jetzt die örtlichen der Stadtflur nachgewiesen, und zwar 5 alte Haupthöfe oder Bauerschaften, unter denen einer eine landesherrliche "Curtis" war, und als deren Namen wir uns anzuführen getrauen: Schneverdinghausen, Hadverdinghausen (die mittelste), Meeste (Oester), Rüden (niedere) und Brunverdinghausen (Schulzengut und Burg).



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