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Band 3

DIE EIGENTLICHE INNERE STADTGESCHICHTE

1. Abschnitt - Übersichtliche Darstellung der Entwicklung und Ausbildung des Rüdener Stadtwesens im Zusammenhang

Kapitel 2

Fernere freie Entwicklung des Rüdener Gemeinwesens.

Die in diesem Kapitel und sonst citirten Artikel oder Paragraphen des Rüdener Rechts sind nach der Eintheilung bei Cosmann; die dort beigegebenen Noten haben uns gute Dienste gethan.

A. Geschichtliche Entwickelung des Rüdener Verwaltungs- und Gerichts-Wesens. Der Rat. Ältestes Beamtenpersonal.

(§.105.)

Wir haben schon erwähnt, dass Rüden das Glück hatte, jene wichtigen Güter städtischer Freiheit und Selbstständigkeit, die viele andere Städte mühsam sich erkämpfet, von ihrem hochherzigen Gründer in seine Wiege gelegt bekam, mit denen es, zur Selbstständigkeit herangewachsen, zu seinen Nutzen und Wohl schalten und walten mochte.

Eine der ersten Befreiungen der Einwohner der neuen Stadt war die von der Verbindlichkeit, an entfernter Malstatt, sei es das alte Grafengericht, oder das Markengericht, ihre Rechte zu holen und zu finden. Wigand hat das Verdienst in seinem Fehmgericht zuerst das wahre Verhältnis der alten Deutschen Gerichte aufgeklärt zu haben.

Das echte Germanische Landgericht war gebildet von den freien Wehren unter den Grafen. Das alte Gericht, vielfach durch Befreiungen, durch Hörigkeits- und Vasallen-Verhältnisse zerrissen und durchlöchert, teilte sich gar bald in zwei besondere Gerichte; denn als sich, unter schwächeren Kaisern, auch in Westfalen die Landeshörigkeit entwickelte und sich landesherrliche Gerichte bildeten, blieben die Freien, die nicht in dem Lehnsverband standen, unter einem besonderen Richter, der über ihre Personen und Güter richtete, die fiskalischen Reichseinkünfte erhob und nicht als landesherrlicher Beamter, sondern als königlicher Richter unter Königsbann das Urteil sprach, und dessen Gerichtsbezirk eine Freigrafschaft genannt wurde. Die Freien blieben unmittelbare Reichsuntertanen.

Das landesherrliche Gericht aber hieß das Hochgericht oder Gogericht und war für die landesherrlichen Untertanen. Nur Personen und Güter machten den Unterschied der Kompetenz beider Gerichte, und es fand keine Appellation von dem einen an das andere Gericht statt.

Vor das Gogericht gehörten aber nur diejenigen Personen, die ursprünglich ebenfalls zu den Freien gehörend, ihre alte Freiheit durch das Lehnsverhältnis zum Landesherrn nicht völlig zu bewahren vermochten.

Die Kirche und deren Oberen erwarben in ihren geistlichen Ländern viele Güter und Hörige, zu denen manche Freie als Schutzhörige sich gesellten. Über diese Leute setzte der Herr einen Vogt oder Schulzen als Richter. Diese Verhältnisse waren schon in der ländlichen Gemeinde-Verfassung begründet; für die städtischen trat ein neues hinzu.

Hier kamen neue Gegenstände auf und entstanden neue Beziehungen, die weder vor das Frei-, noch Go-, noch Schultengericht gehörten, die bloß von örtlicher Bedeutung waren. Den Städtern gelang es, diese vor ein aus schöffenbaren Leuten der freien Stadtgemeinde gebildetes Gericht zu bringen. Zu der freien Stadtgemeinde gehörten aber in den ältesten Zeiten nicht die Kaufleute und Handwerker, weil sie der Hörigkeit unterworfen waren.

Die Verwaltung des Stadtwesens, des Gemeinde-Eigentums, sowie auch eine notwendige Kontrolle über den Betrieb der bürgerlichen Gewerbe wurde einem Ausschuss angesehner und kundiger Männer aus der freien Stadtgemeinde übertragen. In manchen Städten gab es sowohl eigene Stadtrichter, als auch einen Ausschuss für die angedeuteten Verhältnisse. In den kleineren Städten aber, wie Rüden, wurden dieselben Leute mit beiden Geschäften, der Rechtspflege und Verwaltung betraut.

Diese machten den frei von der Bürgerschaft erwählten Rat aus, "consules", an dessen Spitze ein oder mehrere Bürgermeister, "magistri consulum proconsules", standen. Wie in der alten Landgemeinde die Volksversammlung unter ihren Grafen die souveräne Gewalt war, so stand in den Städten neben dem Rat die freie Bürgerschaft als beratende Versammlung unter Vorsitz des Rates.

(§.106.)

Alle diese Zweige des städtischen Regiments finden wir gleich bei der Gründung der Stadt Rüden vor. Die Stiftungsurkunde von 1200 erwähnt schon die Gerichte im Allgemeinen. Hierunter kann nur das landesherrliche Gericht, später Gogericht genannt, gemeint sein, welches im Stadtrechte das Hochgericht heißt. Ferner geschieht in derselben Urkunde des erzbischöflichen Schulten Erwähnung.

Der Ausdruck Schulteten, Schulzen, Schultheißen für die in geistliche Hände gekommenen Höfe ist fränkischen Ursprungs, und kommt in Westfalen umso häufiger vor, da in Köln die Kirche und Landeshoheit zusammen fielen.

Dass der Rüdener Schulte, schon im Stadtrecht Amtmann, sonst auch "officiatus", genannt, zugleich landesherrlicher Richter (der nicht ganz freien Bürgerschaft) war, folgt aus dem Stadtrecht selbst. Des Rüdener Rates, als richterlicher Behörde, tut zwar die Urkunde 1200 noch nicht Erwähnung, wohl aber das Stadtrecht, das dessen Stellung als richterliche und Verwaltungsbehörde feststellt. Dieser Rat ward zusammengesetzt aus den ritterlichen und anderen freien bürgerlichen Geschlechtern, und auf eine bestimmte Zeit gewählt.

Die ganze Stadt Rüden war also vertreten durch Ritterschaft, in den zwei Klassen von Ritter und Knappen, durch Bürgermeister und Rat und ganze Gemeinheit. Hatte der Rat ursprünglich über städtische Angelegenheiten gerichtet, während der Gorichter über die Bürger, nicht als solche, sondern als Eigentum seines großen Gerichtsbezirkes, unter erzbischöflicher Autorität, wie einst die Grafen Urteile fällten, so erhob sich die Macht des Rates in Rüden gar bald so weit, dass er über alle Gegenstände, wie der Gorichter, konkurrente Gerichtsbarkeit hatte.

Diese Konkurrenz zeigt sich ganz augenfällig in dem alten Rüdener Institut der Frohngerichte, über welche Artikel 21 des Stadtrechts handelt, welches aus 2 Frohnen bestand, von denen den einen der erzbischöfliche Richter, den anderen der Bürgermeister und Rat einsetzte.

Die Frohnen waren Gehilfen beider Gerichte, des landesherrlichen und des städtischen, denen die Erkenntnisse in geringfügigen Sachen oder die Vollstreckung der, von jenen gefällten, Urteile und die Vertretung in Verhinderungsfällen übertragen waren.

Auch schon durch das Stadtrecht Artikel 19 und 20 war die Bürgerschaft gegen Beeinträchtigungen der erzbischöflichen Richter: des Gorichter, des Amtmanns und des Frohnen durch die Bestimmung gesichert, dass die vom Erzbischof angestellte Person Rüdener Bürger sein und schwören musste, dass sie die Stadt helfen, hüten und wahren und dem heiligen Petrus, dem Erzbischof und den Bürgern hold und treu sein wollte, und dass namentlich der Gorichter ein rechter und gnädiger Richter, nach seiner besten Einsicht, sein wolle.

Hatten auch die Hörigen schon ihr eigenes Gericht unter dem Amtmann, so war es doch anders in Bezug auf die unmittelbaren reichsfreien Bürger in Rüden. Dass solche in der Stadt waren, steht urkundlich durch das alte Stadtrecht fest. Es mochte gleiche Eifersucht der überwiegenden Anzahl der nicht vor ein Freigericht gehörenden Bürger und zugleich des nach immer größerer Unabhängigkeit vom Reiche ringenden Landesherrn sein, dass die westfälischen Städte sich frühzeitig gegen die Einführung von Freigerichten schützten. Deshalb heißt es im Artikel 8 des ältesten Stadtprivilegs für Rüden, dass innerhalb der Stadt Rüden kein Freiding gehalten werden solle.

Hatte man sich hierdurch des Freigerichtes innerhalb der Stadt erwehret, so suchte man umso mehr alle Evokationen der Bürger an auswärtige Freistühle zu verbannen. Dies geschah durch den folgenden Artikel des besagten Stadtrechts. Nach diesem Artikel mussten die freien Bürger in Sachen, die der Gorichter aburteilen durfte, dessen Gerichte folgen. Nur das musste eingeräumt bleiben, dass die Streitigkeiten über erbliches freies Gut einem Freigericht vorbehalten blieben.

Gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts bekam auch Rüden vom Erzbischof Walram 1354 sein eigenes Freigericht für die freien Scheffenbrüder, welches aber der Bürgermeister, nachdem er selbst zum Freischöffen erwählt, auf dem Rathause hegte. Der Rat mochte dies umso eher einräumen, als ja auch dieses Gericht gewissermaßen in seine Hände kam.

Einen anderen Kampf hatte die freie Stadtgemeinde gegen die Eingriffe der unmittelbaren geistlichen Gerichtsbarkeit zu bestehen, gegen welche sie sich schon durch Artikel 43 des Rechts zu verwahren suchte, worin gesagt wird, dass kein Laie einen Bürger laden solle aus der Stadt um eine weltliche Sache.

Diese Bestimmung schien umso nötiger, da die Berufungen an das geistliche Gericht des Offiziats von Soest häufig geschahen, bei denen sich die Bürger beeinträchtigt glaubten. Rüden war oft in dem Falle, von dieser Verordnung Gebrauch zu machen.

(§.107.)

Der Rat hatte das Recht allerlei Leute in die Bürgerschaft von Rüden aufzunehmen, welches durch große und wichtige Privilegien im 5., 6. und 7. Artikel des Stadtrechts angesprochen war.

Nach diesem konnte Jeder, der sich in Rüden ansiedelte, als Bürger aufgenommen werden; er komme her, woher er wolle, er sei hörig, welchem Herrn er wolle: er solle der Freiheit genießen. So waren die Eigenhörigen, die sich die Bürgschaft und Stadtfreiheit ersessen hatten, gegen alle Anforderungen ihrer Leib- und Schutzherren verwahrt. Dieser Umstand trug gewiss viel zum Wachstum der neuen Stadt bei.

Zugleich aber war allen Bürgern dagegen das Ausbürgerrecht und die Schutzhörigkeit untersagt. Denn der Bürger soll seinen Herrn erkennen, als den Erzbischof von Köln, den Rat und Bürgermeister, soll nur in der Stadt Rüden sein Recht nehmen und geben, widrigenfalls derselbe der Bürgerschaft und des Bürgerrechts verlustig wird, bis er wieder aufgenommen wird.

Auch soll Niemand einen anderen Bürger laden mit einem Schwerte (es vertrat die Stelle des anderwärts üblichen Büttelstabes oder der Gerichtsfahne) zu keinem Gogerichte, sondern nur vor das erzbischöfliche Gericht in Rüden.

B. Geschichtliche Entwickelung der Rüdener kaufmännischen Handels- und Zunft-Verhältnisse. Markt, Zoll, Münze.

(§.108.)

Durch dieses Privileg war denn also schon frühzeitig den sonst hörigen Kaufleuten und Handwerkern das Bürgerrecht in der Stadt Rüden zugesichert.

An die freie Bürgerschaft daselbst muss sich früh die Kaufmannschaft angeschlossen haben. Es gehen zwar hierüber bestimmte nachrichten ab, aber ihrem Wohlstande scheint die Pfarrkirche St. Nicolai ihre Gründung zu verdanken zu haben; auch die Lage in der Nähe der alten Königsstraße (Haarweg), die Soest, Werl mit Rüden verband, deutet auf Teilnahme an den Handelsverbindungen dieser Städte, welcher Umstand durch die Nachricht bestätigt wird, dass Rüden unter Soest am Hansabunde teilnahm.

Die Rüdener Kaufmannschaft hat, wie anderswo, eine Gilde unter eigenem Schiedsrichter gebildet, wie wir aus der späteren Krämerzunft unter dem Hansemeister schließen. Ein sicherer Beleg für den uralten Handelsverkehr in Rüden sind die ihr schon im Stadtrecht privilegierten 2 jährlichen Messen. Der Artikel 16 bestimmt, dass 5 Wochen nach Ostern ein 9 Tage dauernder Jahrmarkt, geheißen zum Hagen, und ein anderer, drei Tage dauernder am Tage vor St. Pantaleon gehalten werden, wozu sicheres Geleit gegeben wird.

Der Rat wachte über richtiges Maß und Gewicht, wie der Artikel 32 besagt. Für Wichtigkeit des Handels spricht ferner der in der Urkunde von 1200 erwähnte, dem Erzbischof gehörige Zoll, so wie später magistratliche Bestimmungen, ferner die der Stadt verliehene Münze. Für wirkliche Ausübung des Münzrechts spricht der Artikel 38, der von Falschmünzerei und deren Bestrafung redet. Auch ist oft von Rüdener Schillingen die Rede.

(§.109.)

Dem Beispiele der Kaufleute folgten die Handwerker. Nach einer im deutschen Nationalcharakter liegenden Grundneigung zum Innungswesen verband die Gleichheit der Beschäftigung dieselben gar bald zu Gilden oder Zünften, Vergleiche Kindlinger M.B.II.S.217: Aemter, Bänne, Gaffeln, deren Glieder Gildebrüder, Zunftgenossen. Der Aelteste der Gildebrüder war ihr Aldermann, ihr Gildemeister, Zunftmeister, Kergenmeister. die sich allerlei Privilegien zu Gunsten ihres Gewerbes ausmittelten, namentlich das Recht, sich Vorsteher zu erwählen, die darüber wachten, dass jedes Gewerbe nach gewissen Regeln erlernt, und besonders, dass jedem der Betrieb desselben verboten wurde, der nicht Mitglied der Gilde war.

Die schon im Stadtrecht Artikel 45 und folgenden verschiedenen festgesetzten Bestimmungen über Gerade und Hergewette, scheinen schon damals auf Zünfte zu deuten. Es ist dort besonders die Rede von Bäckern, Wollenwebern, Schustern, Schmieden, Zimmerleuten, Schrödern, Fleischern, Leinewebern. Die Angelegenheiten der Zunft waren nach frei entworfenen Statuten, Innungsartikeln, Amtsrollen, Gildebriefen und feststehendem Handwerksgebrauch geordnet.

Der Zunftzwang ging auch über die Mauern der Stadt hinaus bis zu den Stadtdörfern. Den Umkreis des Zunftzwanges nannte man anderswo Bannmeile (Banleuca, Bannilega). Der Zunftgeist erstreckte sich in seinen Wirkungen auch noch auf Personen, die man ihrer Geburt oder Lebensart wegen für unbefähigt hielt, an den Ehren und Rechten der Zunftgenossenschaft Teil zu nehmen; dahin gehörten uneheliche Kinder und deren Mütter, Schweineschneider, Schäfer, Müller, Leineweber, die zu Rüden die Galgen errichten mussten, usw. Diese Genossenschaften trugen nicht wenig dazu bei, den Geist eines vielfach gestalteten politischen Lebens und regen Strebens und ein klares Rechtsbewusstsein und Sinn für Sittlichkeit und bürgerlichen Anstand zu bewahren.

C. Ehe- und Erb-Recht

(§.110.)

Da die Zunftgenossen, früher der Hörigkeit unterworfen, in der Stadt völlige persönliche Freiheit erlangten, so hatte dieses auch manche wichtige Folgen für ihre persönlichen Rechte. Dazu gehörte namentlich die Befreiung vom Todesfallrecht, mortuarium, vermöge dessen den Schutzherren aus der hörigen Hinterlassenschaft das beste Hab, oder Bestehaupt, exuviae, zufiel, welches der rechtmäßige Erbe aus den Händen des Herrn lösen musste, und welches dem Herrn in Ermangelung von Erben ganz zufiel, und die Entfernung des in Bezug auf die Heiraten der Hörigen bestehenden Zwanges.

Als diese freie Stadtbürger geworden, konnten schon natürlich Heiraten zwischen verschiedenen Schutzgenossen nicht mehr vermieden werden und Erbschaften mussten von den Einen, an die anderen ausgefolgt werden. Alle hierdurch zwischen Bürgern und Schutzherren entstehenden Irrungen hatten mit Aufhörung des Schutzherrenverhältnisses auf einmal ein Ende. Das beste Haupt bei Schutzhörigen hieß später auch Heergewedde.

Ursprünglich war Heergewedde oder Heergeräte das mit dem Erbgut dem Erben zufallende Kriegsgerät, oder Waffen, zugleich ein Symbol der auf jedem Erbe, Wehre, haftenden Kriegspflichtigkeit. In der Stadtgemeinde hatte zuerst das Heergewedde dieselbe Bedeutung, da die Bürger, zur Stadtverteidigung verpflichtet, ihre eigenen Waffen haben mussten.

Da jetzt die Stadt die Stelle des Schutzherren vertrat, so zog sie das Heergewedde, worunter aber nicht nur das eigentliche Kriegsgerät, sondern auch das beste Haupt bei einem Sterbefalle gerechnet wurde. In der Stadt fiel das Hergewedde (wad-gewand) nunmehr dem SDohne oder andern nächsten männlichen Erben zu, so wie das Gerade (Hausgeräthe) den nächsten weiblichen Erben zukam. Hergewedde und Gerade bezeichnet also in der Kürze denjenigen Theil der Erbschaft, den der nächste Erbe vor der Erbtheilung voraus bekam. Diese Verhältnisse, so wie eine notwendig gewordene Bestimmung über das Erbrecht der der Schutzhörigkeit entzogenen Bürger, die aber alle Bürger betraf, enthält das Stadtrecht vom Artikel 41 an.

Zuerst wird die eheliche Gütergemeinschaft und das darauf gegründete wechselseitige Erbfolgerecht der Eheleute ausgesprochen:


Über das Heergewedde wurde festgesetzt:


Dies bezog sich auf jeden Bürger. Bei den verschiedenen Handwerkern aber gehörten zum Heergewedde, außerdem noch allerlei Dinge: Handwerkzeuge oder Arbeiten. Wenn der Erblasser ein Weib ist, so heißen die Exuviae: Gerade; so auch die von Priestern und Schülern. Die nächsten Artikel des Rechts geben die näheren Bestimmungen darüber an.

D. Wehrhaftigkeit der Bürger

(§.111.)

So gewann mit dieser weiteren Fortbildung des Weichbildrechtes, worin das alte Schutzrecht der Handwerker aufgegangen war, die Gemeinde immer mehr an Kraft und Stärke.

So wie jeder einzelne Bürger waffenfähig war, als ein Vorzug der bürgerlichen Freiheit, so gehörte die städtische Wehre schon notwendig mit zur Bestimmung der Stadt Rüden; es konnte ja im Allgemeinen kein Ort ohne Befestigungs-Werke, Graben, Türme, Zinnen den Namen und die Rechte einer Stadt führen.

Das Recht der städtischen Wehre war so wichtig und notwendig, dass die Bestimmungen über die Befestigung und Besserung der Stadt und ihres Weichfriedens (Burgbannes), schon im 1. § des Stadtrechts ausgesprochen wird und im 4. § wiederum die Festigung der Stadt oder der Feldmark mit Gräben, Zäunen, Recken und Schlingen und anders womit ohne Strafe freigestellt wird. Als ein Rest der bürgerlichen Wehrhaftigkeit können die Schützengesellschaften betrachtet werden.

(§.112.)

Die Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens, die Teilnahme Aller am Verwaltungswesen, die Kräftigung der verschiedenen Stände in gesetzlichen Vereinen, die durch eigene Wehrhaftigkeit geschützte persönliche Freiheit steigerte fortwährend das Bewusstsein der städtischen Gemeinde.

Die Grenzen der erzbischöflichen Gerichtsbarkeit zu Rüden in Bezug auf das eigentliche städtische Wesen wurden immer enger gezogen, das Besatzungsrecht der Stadt nahmen allein die Bürger in Anspruch, nur die Burgwehr der Dienstmannschaft überlassend; selbst der Blutbann kam an das Gericht des Rats, je es wurde sogar dieses Gericht höhere Instanz für das Gogericht.

Nur die Burg allein mit den Realien blieb noch so lange Eigentum des Landesherrn, als er es für nötig erachtete, dieselbe zu besetzen. (Wurde sie an die Stadt geschenkt und verkauft oder ging die herrenlose von selbst in ihren Besitz?) Sehr wesentlich waren auch die auf Ausübung der Polizei, in Bezug auf Maß und Gewicht der Lebensmittel und des Geldes sich beziehenden Rechte.

E. Entstehung eines eigenen Rüdener Stadtrechts.

(§.113.)

So sehen wir das schöne Gebäude des Rüdener Städtewesens fest gegründet aus den drei Grundpfeilern der Freiheit, d. i. der schöffenbaren Freiheit, Innungs-Recht und Waffenfähigkeit. Aber auch schon die Befugnis, sich in allen Dingen nach Rechtsnormen zu richten, welche durch die freie Willkür oder durch Rechtsgewohnheit entstanden waren, mit Verwahrung der Rechte eines Andern, namentlich des Landesherrn, hatte sich die Rüdener Stadtgemeinde zu erfreuen.

Dies ist die Grundlage des ganzen Rüdener Rechts und ist als solche im §. 1. desselben ausgesprochen. Die Gnade des Stifters verleiht der Stadt hierin ausdrücklich eigene Küre (Willkür), Einung und Statutenfähigkeit, nur mit der Vermahnung, Nichts gegen den Erzbischof und gegen das Stift von Köln zu küren. Der Frevler wider die Willkür wurde von der Stadt bestraft nach §. 2.

Nach diesem Privileg wurden denn auch vom Rüdener Rat und Bürgermeister ungehindert und sonder Strafe allerlei Verordnungen erlassen über Schutz des Gutes und Lebens, über Aufrechthaltung der Ordnung, über Schutz der Gerechtsame, zur Förderung der Gewerbe, über Eigentumsrecht, Erbschaften, Ausübung des Hausrechts und andere Bestimmung zu Nutz und Frommen der Bürgerschaft.

Wo das alte Herkommen und die vom Gründer vorgezeichneten Normen nicht ausreichten, da hatte die Gemeinheit das volle Recht, nach freier Willkür, neue zu finden. Dadurch erklären sich die bis ins 16. Jahrhundert herabreichenden Verordnungen der Rüdener Gemeinheit, die uns namentlich vom 730 des Stadtrechts an überliefert sind.

Dieses teuere Recht und die dadurch errungenen festen Normen suchte man eifrig zu erhalten. Daher trug man Sorge, dass die Rechte aller Klassen von Bürgern, die allgemeine Stadtprivilegien, die Verträge zwischen Rat und Bürgerschaft d.i. "die Kühren", die schon gefundenen Urteile in Eins gesammelt und niedergeschrieben wurden. So entstand das uns erhaltene sog. Stadtrecht.

Da Rüden eine der wichtigsten Städte Westfalens war, die durch Handel und Gewerbe blühte, in der wegen der geschilderten Mannigfaltigkeit der Bevölkerung die verschiedenartigsten Verhältnisse zwischen den Bürgern untereinander und der Obrigkeit sich darstellten, so erschien die Sammlung der Rüdener Statutarrechte schon frühzeitig als besonders angesehen, vollständig und belehrend, Deshalb wurde das Rüder Recht manchen Städten (Belecke, Brilon, Kallenhardt, Geseke, Hallenberg, Medebach, Menden, Arnsberg, Winterberg, Warstein nämlich) als Gesetzbuch für ihre Gerichte verliehen.

Der Rüdener Gerichtshof, dem das Gesetzbuch die Entstehung verdankt, der natürlich am Besten das Recht auszulegen vermochte, erlangte bald das Ansehen eines Oberhofes, an dem in höchster Instanz Rechtsfälle der mit Rüdener Recht bewidmeten Städte ihre Entscheidung fanden.

F. Rüden im Bündnisse mit anderen Städten.

(§.114.)

Je größer das Ansehen Rüdens geworden, desto eifersüchtiger war die Stadt auf Aufrechthaltung ihrer Vorteile, Rechte und ihrer Freiheiten. Wenn, wie anderswo, ein entschiedener Kampf sich entbrannt hätte gegen wachsende und überlegene Feinde, die in den fehdelustigen Nachbarrittern, in den kriegerischen Bischöfen Paderborns und selbst in den nach völliger Landeshoheit strebenden Nachfolgern der großherzigen Adolphe und Philippe zu befürchten waren, - wäre die Stadt mit ihren heiligen Gütern einem ungewissen Ausgange entgegen gegangen.

Andere Städte fühlten eine gleiche Notwendigkeit zu einem möglichst kraftvollen Schutze ihrer Freiheit, zu einer engen Verbindung untereinander. So entstanden die Bündnisse Rüdens mit anderen Städten in jenen für Deutschland so verhängnisvollen Zeiten, da nach dem Untergange des Hohenstaufen des Kaisers Macht und Schutz sehr zweifelhaft war, da der Kampf zwischen Kirche und Staat das Vaterland zerrissen. Kräftig traten die Bündnisse der westfälischen Ritterschaft und Städte dem Landesherrn gegenüber und ertrotzten sich Rechte und Freiheiten. Solche Bündnisse werden wir später anführen.

Als das gesetzliche Fehderecht des Adels in bloßes Faustrecht ausgeartet war und der Adel zu Raubgesindel sich erniedrigte, indem es den wehrlosen Kaufmann auf offener Straße ausplünderte, Klöster beraubte und Juden misshandelte, dem Landsmann das Vieh wegtrieb, übernahmen die Städte das ehrenvolle Geschäft Ein Document über ein solches ehrenwerthes Bündniß westfälischer Städte findet sich in Seibertz Urk. Buche I.S.343. dem Unwesen zu steuern und das Recht aufrecht zu erhalten.

Die Flüchtigen fanden Sicherheit und Bürgerschaft in den festen mauern. Für die Märkte verbürgte auch Rüden dem Kaufmann Sicherheit und Geleit. Siehe z.B. Artikel 16 des Rechts. Ein anderes Bündnis war die Hansa, an der sich Rüden unter Soest beteiligte. Gegen die Anmaßung der rheinischen Schafhändler schloss Rüden mit Warstein und Belecke Bündnisse.

(§.115.)

Der Städte Wohlfahrt bedrohten aber nicht nur äußere Feinde, sondern noch gefährlichere Kämpfe im Innern. Wenn auch in Rüden die rittermäßige und freie Bürgerschaft an Beeinträchtigungen und Bedrückungen der gemeinen Handwerksklassen nicht schon durch deren Innungen behindert gewesen wäre, so war der Ausbruch eines förmlichen Kampfes zwischen regierenden und regierten Bürgern auch durch die geschilderte Grundverfassung beseitigt. Dass es aber in späteren Zeiten trotzdem nicht an Reibungen zwischen vornehmeren und gemeinen Bürgern fehlte, werden wir gelegentlich erzählen.

G. Stadtgeleit.

(§.116.)

Noch allerlei andere Rechte erhöhten die Macht und das Ansehen der Stadt im Laufe der Zeiten. Vermöge des Rechts der Waffenfähigkeit übernahm nunmehr die Stadt den Schutz der auf ihrem gebiete Ansässigen, so wie das früher bloß dem Landesherrn zustehende Geleit reisender Kaufleute mit kräftiger Hand.

Nach dem Stadtrecht Artikel 10 wenigstens stand das Stadtgeleit, ein Hauptpfeiler der bürgerlichen Sicherheit, nebst dem landesherrlichen Richter, auch dem Bürgermeister und in dessen Abwesenheit dem Rat zu. Das geleit bezog sich nicht allein auf die Sicherung des städtischen Handels und Wandels, sondern war auch ein Akt der Gnade in Frevel- und Polizei-Sachen.

Die Verweigerung, oder Aufkündigung des Geleits ward Friedeloslegung genannt, eine Art von Acht, von Vogelfreierklärung, die für den Bürger mit dem gänzlichen Verluste seines Bürgerrechts verbunden war. Wenn aber Friedlose um Stadtgeleit baten, so war eine besondere Aufsicht und Vorsicht nötig, die der folgende §. 11. dahin ausspricht, dass in diesem Falle weder allein der Richter für sich, noch der Bürgermeister, sondern beide zusammen in der Stadt Rüden sicher Geleit geben dürfe. Der §. 12 bestimmt, dass

wenn einer wissentlich und freventlich das Geleit bräche, der solle dem Richter 5 Mark und den Bürgern 10 Mark und ein Fuder Weines Strafe geben.

Außer diesem begehrten und verliehenen Geleite gab es ein gesetzliches, nämlich die durch die Canonischen Gesetze bestimmte Trenga, indciae pacis, die von Freitagabend bis Sonntagabend dauerten. Dies spricht der §. 13. aus. - §. 14. handelt von einem anderen Geleite, was derjenige hatte, der montags nach dem Vespergeläute in die Stadt kam. Es dauerte den ganzen Dienstag durch, wenn er nicht etwa friedlos war oder in den Friedetagen sich hatte etwas zu Schulden kommen lassen, was Strafe verdiente. Das milde und fromme Recht bestimmt im §. 15. noch mehr Friedetage, nämlich alle hohe kirchliche Festtage, Ostern, Pfingsten, Weihnachten, alle Marien-, alle Apostel- und alle Heiligentage, Allerseelentag, alle Kirchweihfeste und zwar schon einen Tag vorher und noch einen Tag nachher.

H. Einige andere Privilegien.

(§.117.)

Über erworbene Markt- und Messenrechte ist schon gesprochen. Auch das Recht, allerlei Arten von Accise zu erheben, war schon früher erworben. In gleicher Weise gelang es der Stadt bei ihrem erweiterten Grundbesitz die ehemals landesherrlichen Rechte der Fischerei, das Fähr- und Jagdrecht zu erwerben.

Ein anderer glücklicher Umstand für Rüden war es, dass das Patronatsrecht über die Kirchen städtisch war, wodurch der Rat auch einen unverkennbaren Einfluss und ein Oberrecht über die kirchlichen Angelegenheiten der Stadt bekam, wodurch manche Zwistigkeiten andere Orte vermieden wurden, wo das Patronats-Recht, in fremden Händen, oft ganz gegen das Interesse der Gemeinde ausgeübt wurde.



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