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Kapitel 4

Die Kinder meiner seligen Eltern; die jetzige Familie Schäfers

Die Ehe meiner Eltern war am 4. November 1863 geschlossen, und am 27. Juli 1864 gebar die Mutter Zwillinge, welche noch am selben Tage auf die Namen Ludwig und Anton getauft wurden. Ludwigs Patenonkel war Großvater Ludwig von Rüden aus Blankenrode, dem Geburtsorte meiner Mutter. Der kleine Ludwig starb indessen schon am 13. Mai 1865 im zarten Alter von 1 ¾ Jahren. Zu dem zweiten Kinde Anton war Pate Anton Schäfers, Onkel meines Vaters, der schon zu zwei früh verstorbenen Brüdern unseres Vaters Pate gewesen war. Der Patenokel Anton Schäfers aus Henglarn war Besitzer des Hauses in Paderborn Kasselermauer Nr. 3, das jetzt der Familie Lokomotivführer Kleinschmidt gehört.

Mein Bruder Anton war der älteste von uns Geschwistern. Er war ein stark und kräftig gebauter Junge. Gleich den nachfolgenden Brüdern besuchte er die Dom-Knabenschule und nicht die Knaben-Freischule, die Vater noch besucht hatte; auch ein kleiner Beweis des sozialen Aufstiegs der Familie. Die Dom-Knabenschule, die ich auch noch besucht habe, lag an der südöstlichen Ecke des jetzigen Erzbischöflichen Generalvikariats-Gebäudes. Anton wäre nach der ersten heiligen Kommunion und Schulentlassung gern dem Handwerk des Vaters gefolgt, zumal er die notwendigen Körperkräfte hatte. Mutter, die einen bestimmenden Einfluß in der Familie hatte, entschied aber: "Der Junge soll sich nicht quälen wie der Vater; er wird Schriftsetzer!"

Es kann sein, daß Mutter und Vater durch den Verkehr mit dem beim Nachbarn Steinmetz wohnenden Faktor Heinrich Thiele von der Bonifacius-Druckerei auf diese Berufswahl gekommen sind. Bruder Anton trat Frühjahr 1878 bei der genannten Druckerei als Lehrling ein. Die Bonifacius-Druckerei ist kurz vor dem Kulturkampfe von den Vorkämpfern der katholischen Sache in Paderborn, den Domvikaren Johannes Schröder und Anton Sporck, gegründet worden, war zuerst in gemieteten Räumen des Levermannschen Hauses am Marienplatz untergebracht und siedelte dann in das Haus Liboriberg 16 über. Dieses Haus ist von der Gräfin von Bocholtz-Affeburg, der langjährigen Mitarbeiterin in der Haushaltsführug des hiesigen Bischöflichen Knabenseminars, erbaut und der genannten Anstalt letztwillig vermacht. Als das Knabenseminar bei Beginn des ... Anm.: unleserlicher Bereich... das erste Obergeschoß des Hauses Liboriberg 16.

Dr. Joseph Rebert, aus Winterberg, Kreis Brilon, war langjähriger erster und erfolgreicher Schriftleiter des Sonntagsblattes "Leo". Rebbert war als Westfale ein starker Raucher, und bei dem Aufschwunge des so beliebt gewordenen Sonntagsblattes wurde ihm bei jeden neuen 1000 Beziehern eine neue Briloner Pfeife verehrt; und der hochangesehene Schriftleiter brachte es auf etwa 60-70 Pfeifen! Bei Beendigung des Kulturkampfes wurde Dr. Rebbert an der wieder eröffneten Philosphisch-Theologischen Lehranstalt Professor der neutestamentlichen Exegese (Schrifterklärung) und ist als solcher mein Lehrer in den Jahren meines theologischen Studiums gewesen.

Als Bruder Anton in der Bonifacius-Druckerei im Jahre 1878 in der Lehre stand, waren im Kellergeschoß die mit der Hand betriebenen Druckerei-Maschinen untergebracht, während im Erdgeschoß Setzerei, Geschäftsbüro und Schriftleitung des "Leo" und Bonifatiusblattes untergebracht waren. Das Falzen des Bonifatiusblattes wurde vielfach von Frauen in deren Familienräumen besorgt; die Blätter wurden ungefalzen von dem Geschäftsbetriebe zu der betreffenden Familie gebracht und, gefalzen und gebündelt, in großen Waschkörben wieder zur Druckerei besorgt. Die im elterlichen Hause Jesuitenmauer 29 wohnende Witwe Gerber, deren ich im vorhergehenden Abschnitte Erwähnung getan habe, hat jahrelang das Bonifatiusblatt gefalzt.


Familie Schäfers 1933
oben: Hans, Wilhelm, Maria, Josefa, Wilhelm (Rechklinghausen)
unten: Schwägerin Maria (Paderborn), Joseph (nun Bruder Baltasar), Johannes, Leo und Schwägerin Maria (Recklinghausen)

Nachdem mein Bruder Anton unter Leitung des Faktors H. Thiele, eines würdigen Herrn, der im Geschäfte bei der Arbeit des Setzens ständig die lange Pfeife rauchte, was heute streng verboten ist, die Lehre beendigt hatte, blieb er als Setzer - oder, wie man damals auch sagte, "Metteur" - im Betriebe und siedelte mit über zu dem neuen Geschäftsgebäude in der Liboristraße.

Anton war ein lebenslustiger junger Mann, dem Vergnügen und Alkohol nicht ganz abhold. In seinem Berufe fühlte er sich nicht ganz wohl, und er bedauerte offenbar, daß bei der Berufswahl seinem Wunsche nicht entsprochen war. Gleich bei der ersten "Ziehung" (militärische Musterung) wurde Anton zum Militär angeschrieben, oder, wie man damals sagte, er wurde "gezogen". Die Gezogenen waren nach außen hin sehr stolz auf ihre militärische Qualifikation, schmückten mit Kunstblumen Hüte und Mützen, sprachen dem Alkohol nicht zu wenig zu, wodurch dann oftmals Streitigkeiten und Schlägereien entstanden. Als strammer Bursche wurde Anton zur schweren Artillerie geschrieben und kam Herbst 1884 nach Köln zum Westf. Fußartillerie-Regt. 7. Nach Beendigung seiner dreijährigen Dienstzeit kehrte er nach Paderborn Herbst 1887 zurück und fand wieder Beschäftigung bei der Bonifacius-Druckerei.

Er war befreundet mit dem Schuhmachergesellen Konrad Hohelüchter aus Elsen, der gleichzeitig mit Anton seiner militärischen Dienstzeit bei einem Infanterie-Regiment in Lothringen genügt hatte. Nach gemeinsamer überlegung und Beratschlagung entschlossen sich beide Freunde, nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika im Frühjahr 1888 auszuwandern. Etwas Abenteurerlust steckt ja jedem Deutschen im Blute! Anton hatte von seinem Patenonkel 300 Mark mit Zinsen auf der Kreissparkasse in Paderborn stehen und war groß ... Anm.: unleserlicher Breich .. wunden. Vor der Abreise ließ Familie Schäfers sich bei W. Köppelmann in de Leostraße photographieren, das erste und letzte Familienbild mit den beiden seligen Eltern!

Die Ausreise erfolgte für die jungen Auswanderer mit einem Dampfer des Norddeutschen Lloyd im Mai 1888, ich war damals Theologe im ersten Semester in Paderborn. Von New York reisten Anton und Konrad in das Innere über St. Louis nach Crewe Coeur, wo der aus Paderborn stammende Karl Brockmeyer damals Pfarrer war. Rev. Brockmeyer nahm beide Paderborner Jungmänner freundlichst auf und suchte ihnen Arbeit zu verschaffen. Von Bruder Anton habe ich von Crewe Coeur einen Brief erhalten, in dem er auch um Zusendung des Westfalenliedes bittet.


Die Anrede heißt aber nicht mehr "Lieber Johannes", sondern bereits "Lieber John". Auch ein kleiner Beweis, wie leicht der Deutsche sich der neuen Umgebung anzupassen sucht.

Anton fand Arbeit in St. Louis, Mo., bei einem deutschen Farmer, dessen Name mir entfallen ist. St. Louis ist unstreitig eine sehr heiße Stadt mit einer unverhältnismäßig sehr hohen Zahl von Sonnenstichfällen mit tödlichem Ausgang. Am 3. Juli 1888 gegen 18 Uhr erlitt mein Bruder Anton bei der Heuernte einen Sonnenstich und starb etwa fünf Stunden später. Nach Verlauf von etwa drei Wochen kam briefliche Nachricht von Konrad Hohelüchter von dem Sterbefall in Paderborn an. Den Gram und Kummer der Eltern kann man sich denken! Vater sel. bekam damals die ersten grauen Haare; vorher war er dunkelblond. Mutters größter Schmerz war die Ungewißheit wegen des Empfanges der heiligen Sterbesakramente; ich habe nachher verschiedentlich in St. Louis dieserhalb angefragt, konnte aber keine bestimmte Nachricht darüber erhalten.

Da im Sommer 1888 die Gaukirche gründlich restauriert und u.a. der Fußboden auf die ursprüngliche Höhe zurückverlegt wurde, fanden die Pfarr-Gottesdienste - auch Seelenämter usw. - in der Alexius-Kapelle statt. So wurde auch für Bruder Anton in der Alexius-Kapelle das Seelenamt gehalten.

Im Jahre 1905 tagte in Paderborn bei den Schwestern der Christlichen Liebe das Generalkapitel; die Kapitularen aus U.S.A. luden mich, wie schon früher öfters, zum Besuch nach Amerika ein. Unter den nordamerikanischen Schwestern war auch Schw. Fidelis (aus Sigmaringen gebürtig), Oberin an der St. Nicolaus-Pfarrschule in St. Louis bei Rev. Joseph Schaefer aus Dörenhagen. Ich sagte zu den nordamerikanischen Schwestern: "Ich komme im nächsten Jahre nach U.S.A., wenn die Schwestern das Grab meines im Jahre 1888 verstorbenen Bruders Anton in St. Louis finden." Ich gab den Schwestern den Anfangspunkt ihrer Nachforschungen an, Rev. Charles Brockmeyer, der mittlerweile nach New Orleans verzogen war. Mitte November 1905 fuhren die nordamerikanischen Schwestern zurück, und im Februar 1906 hatte ich die Meldung, daß das Grab meines Bruders gefunden sei; gleichzeitig wurde ich an mein Versprechen erinnert.

In den Herbstferien 1906 habe ich in Begleitung des Kaplans Aloys Kamp - Dortmund (gest. 15.2.1932 als Franziskanerpater Elger) die erste Reise nach den Vereinigten Staaten gemacht. A. Kamp wollte seinen geistlichen Bruder Ernst in Cansas-City besuchen. In New York wurden wir abgeholt von den amerikanischen geistlichen Freunden: Heinrich Disselkamp, Rektor des Provinzial-Mutterhauses der Schwestern der Christlichen Liebe in Wilkesbarra, Pennsylvania, Prof. Karl Becker aus dem Priesterseminar St. Charles in Milwaukee und von unserem Paderborner Nachbarjungen Peter Steinmetz aus Newark N.J.

Rektor Disselkamp war den größten Teil der Reise unser liebenswürdiger Reisebegleiter. In St. Louis besuchten wir das Grab des so früh und fern der Heimat gestorbenen Bruders Anton. Zu meiner großen Überraschung war das Grab bestens in Ordnung gebracht und auf Veranlassung des Mutterhauses der Schwestern der Christlichen Liebe in Paderborn mit einem Gedenk- oder Grabsteine versehen. Die nordamerikanischen Schwestern versprachen mir, die Grabstätte in Ordnung zu halten. In St. Louis sprach ich 1906 mit dem Farmer, bei dem Anton in Arbeit gestanden hatte, und erfuhr, daß er mit den heiligen Sterbesakramenten versehen sei. Wie gern hätte ich den verstorbenen Eltern diese Nachricht gegönnt! - Auf meiner zweiten Amerikareise im Jahre 1925 habe ich sebstverständlich auch das Grab in St. Louis nochmals besucht. R.I.P.

Ich, Johannes Schäfers, bin als dritter Sohn meiner Eltern am 9. Juli 1867 geboren und am 13. Juli 1867 in der Gaukirche getauft. Mein Taufpate war Landwirt Johannes von Rüden, Halbbruder unserer sel. Mutter, aus Blankenrode. Als Merkstein in meinem Leben steht noch lebendig vor meinen Augen der erste Schultag. Mutter brachte den widerstrebenden kleinen ABC-Schützen zur Domschule zum Lehrer Ising, dessen Klasse mit 90-100 Kindern überbelegt war. Ising war ein guter Lehrer, der sich sehr gut den Kleinen anzupassen wußte. Bei der übergroßen Anzahl der Schüler konnte von Anwendung der heuristischen Methode keine Rede sein. Als ich eines Montagsvormittags meine Lektion nicht konnte, sagte der Lehrer:" Junge, geh nach Hause; die Mutter soll es mit dir durchnehmen, und dann kommst du wieder." Mutter stand, weil Montag, an der Waschtonne, mußte ihre Arbeit unterbrechen und Lehrerin werden. Ein Bild der guten alten Zeit!

Lehrer Rengier in der 2. Klasse war ein würdevoller, gravitätischer Lehrer, der hochbetagt in meiner Vaterstadt gestorben ist. - Lehrer Reddecker in der 3. Klasse bevorzugte mit Vorliebe als Erziehungsmittel den dicken Rohrstock. Sechs wuchtige Schläge in jede Hand bei etwas größeren Vergehen waren keine Seltenheit. Ich erinnere mich, daß ich auch einmal diese Strafe bekommen habe, und zwar kamen wir in sehr kalter Winterszeit aus der Schulmesse im Dome; wegen einer, von mir vergessenenen, Ursache bekam ich meine 12 Schläge in die durchfrorenen Hände aufgezählt, und zwar mit solcher Wucht, daß die blauen Streifen an der linken Daumenwurzel noch mehrere Wochen sichtbar waren. Nur durften die Eltern das aus begreiflichen Gründen nicht sehen. Auch ein Bild aus der guten alten Zeit!

Lehrer Förster aus Salzkotten leitete die oberste Klasse, war bei seinen Schülern, auch den ausgelassensten und wildesten Jungen, sehr beliebt. Ich habe Förster als Lehrer nicht gehabt, da ich nach Absolvierung der 3. Klasse zum Gymnasium ging.

Wie Großvater und Vater zur heiligen Messe gedient hatten, so war es das Bemühen der Eltern, daß wir Jungen auch Messedienen lernten. Ich wurde auch Meßdiener in der Gaukirche, wurde aber später aus diesem Amte von Propst Nacke entfernt, weil ich vor einer Sonntagsnachmittags-Andacht in das Weihrauchfaß auf die glühenden Kohlen Kochsalz geworfen hatte, was beim Segen wegen des Knisterns Störungen hervorrief. Ich hatte mir dabei nichts Besonderes gedacht, mußte aber meinen kindlichen Frevelmut mit Ärger zu Hause usw. büßen. Vater sel. wurde zum Propst Nacke gebeten, der ihm sagte, daß sein Sohn entweder ein tüchtiger Kerl oder ein großer Taugenichts werde; vor letzterem hat mich der liebe Gott gnädig bewahrt! - Ich bemühte mich dann um eine etatsmäßige Meßdienerstelle im Dome, die ich auch erhielt. Wir mußten jeden Morgen abwechselnd bereits um 5 Uhr in der Domsakristei sein, konnten vor Schulbeginn rasch nach Hause laufen, um Kaffee zu trinken. Für jeden Monat erhielten wir 3 Mark aus der Bistumskasse und mußten jedes Vierteljahr beim alten Schlüting, dem Boten des Generalvikariates, quittieren, für uns eine sehr wichtige Handlung! Außerdem bekamen wir kleinere Gebühren bei Beerdigungen, von fremden Geistlichen, bei Gratulationen zum Namenstage oder am Neujahrstage von den Domherren und Domvikaren. Wir hatten bald ein Auge für die fremden Geistlichen und deren Gebefreudigkeit.

Im Dom las damals längere Zeit jeden Morgen 7 Uhr Redakteur vom Liboriusboten Schwarz heilige Messe. Schwarz wurde im Kulturkampf zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt, und ich habe ihm damals die heilige Messe im Gefängnis in der Königstraße gedient. Einer zweiten, weit schärferen Verurteilung entzog sich Redakteur Schwarz durch die Flucht. Der Hauptbahnhof, damals der einzige Bahnhof in Paderborn, war polizeilich überwacht, das wußte Schwarz. Er bestellte sich einen geschlossenen Kutschwagen oberhalb des jetzigen Ostfriedhofes, mit dem er bis Driburg fuhr, von wo er nach Böhmen gelangte, wo er dann Hauskaplan bei den Schwestern der Christlichen Liebe wurde. Schwarz war später nach Beendigung des Kulturkampfes Redakteur der "Germania" in Berlin, wurde dann Domherr in Münster und Direktor des Altertumsvereins. Bei einem Jubiläum des Altertumsvereins in Paderborn konnte ich als Seminarprokurator und früherer etatsmäßiger Meßdiener Schwarz begrüßen und mit ihm anstoßen.

In meinen Volksschuljahren war ich Zeuge des Kulturkampfes in Paderborn, der machtvollen Glaubenskundgebungen vor Bischof Konrad Martin, der Schließung des Franziskanerklosters, der Gefangennahme des Bischofs am 4.8.1874; Ereignisse, die ich nie vergessen werde. - Im vorhergehenden Abschnitt habe ich bereits erzählt, wie wir Kinder in der elterlichen Haus- und Landwirtschaft mitarbeiten mußten; gern gedenke ich des Holzsammelns im schönen deutschen Walde.

Nachdem ich sechs Jahre die Volksschule besucht hatte, kam ich Ostern 1879 an das Gymnasium Theodorianum in Paderborn, welches ich in neun aufsteigenden Klassen, ohne einmal sitzen zu bleiben, absolvierte, und wo ich Ostern 1888 das Abiturientenexamen machte. Mein Ordinarius auf den letzten drei oberen Klassen war der ausgezeichnete Altphilologe Dr. Martin Wetzel, gestorben als Direktor des Marzellengymnasiums in Köln; die Grabstätte der Familie Wetzel liegt in der Nähe unseres Familien-Erbbegräbnisses auf dem Ostfriedhof. - Die Jahre auf den oberen Klassen des Gymnasiums waren für mich, zum Leidwesen meiner Eltern meine Sturm- und Drangperiode, wo damals viel gekneipt wurde, obwohl es von der Schule streng verboten war, im Gegensatz zu heute, wo man heranwachsenden jungen Leuten ein vernünftiges Maß von Freiheit gönnt. Als Untersekundaner durften wir rauchen; die wichtigste Sorge eines Untersekundaners war natürlich die Beschaffung einer langen Briloner Pfeife! Zigarettenrauchen kannte man damals noch nicht.

Gern gedenke ich der anregenden Stunden, die mir die edle Frau Musika gewährte. Besonders auf den oberen Klassen haben wir viel und oft musiziert, sei es im Sextett (Streichquartett mit zwei Flöten) oder im großen Orchester im Knabenseminar unter der Leitung des ausgezeichneten Musikus, des späteren Prof. Dr. Hermann Müller. Meine Hauptinstrumente waren Flöte und Fagott.

Meinen Lehrern habe ich ein dankbares Andenken bewahrt. Manches, was ich damals nicht verstand, habe ich in späteren Jahren mit verständnisvolleren Augen anzuschauen gelernt. Allerdings bin ich keinem meiner Lehrer etwas menschlich näher gekommen. Die damalige Zeit bewahrte einen größeren Abstand zwischen Lehrer und Schüler. Auch unseren Religionslehrern kamen wir nicht näher; es waren zum Teil etwas verknöcherte Philologen, die uns Schülern den heiligen Glauben nicht lebenswarm näherzubringen verstanden. Eine Ausnahme machte Professor Hermann Kotthoff, den wir, Gott dank, auf den oberen Klassen als Religionslehrer bekamen. Für ihn waren wir so begeistert, daß auch die wildesten Obersekundaner und Primaner in die von ihm geleitete Marianische Kongregation eintraten.

Kotthoff war auch der erste, der uns von Exerzitien sprach und zum Besuch derselben ermunterte. Da in Paderborn keine Gelegenheit war - es war die Zeit nach dem Kulturkampf -, reisten wir zu fünf von der Oberprima Herbst 1887 in die Exerzitien nach Venloo bei den Dominikanern; und von den fünf Paderborner Pennälern, die bei P. Hyacinthus Haas O. Pr. die heiligen Übungen machten, sind vier Priester geworden. Bis Venloo hatte ich die Möglichkeit eines Theologiestudiums weit von mir gewiesen. Allerdings hat es noch lange harte, ja härteste Seelenkämpfe gekostet, bis ich mit Gottes gütiger Hilfe zum endgültigen Entschluß, Priester zu werden, mich durchgekämpft habe.

Den Beruf zum Priestertum verdanke ich aber hauptsächlich dem Gebet der Eltern und besonders dem Gebete der Mutter und der einsichtigen Leitung des hochgeschätzten Franziskanerpaters Irenäus Bierbaum während meines ersten philosophischen Semesters an der Hochschule in Paderborn. - Die Jugendfreundschaften am Gymnasium sind für mich die dauerhaftesten gewesen. Besondere Freundschaft verbindet mich bis heute mit Justizrat Joseph Meyer in Werl und dem Medizinalrat Dr. Fritz Vahle in Frankenberg, Bezirk Kassel.

Von den engeren Freunden sind bereits gestorben: Pfarrer Christian Heesen in Immerkappel (Rhld.) und Wilhelm Schröder in Niederbauer bei Soest. Rev. Heinrich Keuth ist Pfarrer in Heder, Il., USA. Die Abiturienten vom Jahre 1888 sind unter meiner Mitwirkung einige Male in der alten Paderstadt wieder zusammengekommen, und jedesmal herrschte große Freude des Wiedersehens mit nicht endenwollendem Erzählen aus der schönen Pennälerzeit.

Die philosphisch-theologischen Studien absolvierte ich an der Akademie in Paderborn. Das Studium umfaßte damals 2 Semester Philosophie mit philosophischem Abschlußexamen und 4 Semester Theologie mit der großen Abschlußprüfung, "Concurs" genannt; dann folgten 2 Semester im Priesterseminar, die mehr der pastoralen, liturgischen und akzetischen Ausbildung dienten. Meinen Professoren an der Philosophisch-Theologischen Lehranstalt, wie sie damals hieß, habe ich dankbares Andenken bewahrt, ebenso auch meinen Lehrern im Priesterseminar, Regens Xaver Rintelen und besonders dem Subregens August Pieper.

Eine auswärtige Universität habe ich nicht besucht; ich hätte es wohl können, da ich mir genügend Geld durch Erteilung von Privatstunden erworben hatte. Aber das sauer erworbene Geld war mir zu schade! Als ich Ostern 1891 in das Priesterseminar eintrat, übergab ich den Eltern ein Sparkassenbuch von etwa 800 Mark für das Studium meines jüngeren Bruders Wilhelm. - Von Obertertia an habe ich Privatunterricht erteilt und dadurch einen großen Teil meiner Ausbildungs- und auch der Kleidungskosten selbst getragen. Mein erster Privatschüler war Hermann Steinmetz, den ich in einem halben Jahre auf die Quinta unseres Paderborner Gymnasiums brachte. Die Zahl meiner Privatschüler während meiner Gymnasial- und Theologenzeit beträgt etwa 140.

Am 1.4.1892 erhielt ich mit 28 Kursgenossen von Bischof Dr. Hubertus Simar im Dome zu Paderborn die heilige Priesterweihe. Am Nachmittage des Weihetages galt mein erster Besuch den guten Eltern im elterlichen Hause, denen ich auf ihre Bitten den ersten priesterlichen Segen erteilte; weitere Schilderung dieses unauslöschlich in meiner Seele haftenden Vorganges ist überflüssig! Auch mein angehender Franziskanerbruder Joseph hatte mit Erlaubnis seiner Oberen der Priesterweihe beiwohnen dürfen. Am Passionssonntag, den 5. April 1892, feierte ich in der Gaukirche mein erstes heiliges Meßopfer. Pfarrer Probst Franz Nacke assistierte und hielt die Festpredigt über die Würde des Priestertums; Diakon und Subdiakon waren meine langjährigen Gymnasialfreunde Heinrich Berglar, jetzt Pfarrer in Brenken, und Joseph Robrecht, gestoren als Pfarrer in Holzhausen bei Nieheim.

Von der Bischöflichen Behörde wurde ich zuerst nach Wenholthausen zu dem weit bekannten Pfarrer und Dechant Heinrich Schonlau (geb. in Esseke) als Kooperator geschickt. Mein Jahresgehalt betrug bei freier Station und freier Zelebration der heiligen Messe 500 Mark, also pro Monat 25 Mark. Gern denke ich an die erste Priester- und Seelsorgezeit in Wenholthhausen. Der Pfarrer war ein Original erster Güte; nach außen etwas rauh und auch nicht gerade hoffähig in der Kleidung; aber mit einem goldenen Herzen! Dabei war Pfarrer Schonlau in allen theologischen Disziplinen ein sehr beschlagener Priester, besaß eine Bibliothek, wie ich sie bei einem Seelsorgsgeistlichen noch nicht wieder gesehen habe. Dem Bischof Dr. Simar habe ich die Anregung gegeben, daß er bei Gelegenheit der heiligen Firmung im Jahre 1899 sich die wertvolle Bibliothek besehen und den alten Herrn zur Schenkung seiner Bücherei an die bischöfliche Bibliothek veranlassen möge. Pfarrer Schonlau hat durch Nachtrag zu seinem Testament dem Wunsche seines Oberhirten entsprochen.

Der Pfarrherr von Wenholthausen war weit und breit als praktischer Herr bekannt, der in allen Handwerken, im Baufach, im Acker, Gemüse- und Obstbau sowie im Forstfach wohl bewandert war. Er hieß vielfach der "Harkenpinneken-Pastor". Ich habe bei ihm Bücherbinden, Aktenheften, Zeichnen usw. gelernt, und ich bin meinem alten Pastor für die vielfältigen wissenschaftlichen und besonders praktischen Anregungen aufrichtig dankbar. - Leider stellte sich bei mir ein linksseitiger heftiger Lungenspitzenkatarrh ein. Auf dem ersten Besuch zu Libori in der Heimat bekam ich am Altare in der Domdechantenkapelle nach der heiligen Kommunion einen sehr heftigen Bluthustenanfall, der sich später mehreremal wiederholte. Eine Kur im Herbst 1892 in Lippspringe hatte nur vorübergehenden Erfolg, so daß auch auf Betreiben des guten P. Irenäus Bierbaum O.F.M., meines väterlichen Freundes, die Bischöfliche Behörde mich zur Erholung in das Landeshospital in Paderborn sandte, wo ich von Anfang November 1892 bis Anfang Februar 1893 als Rekonvaleszent weilte. Zur weiteren Erholung kam ich dann als "Klosterkaplan" nach Salzkotten in das Mutterhaus der Franziskanerinnen, wo ich bis zum 10. Oktober 1898 verblieb.

In Salzkotten hatte ich vielseitige, anregende Tätigkeit, so Gottesdienst in der Klosterkirche mit Predigten, Unterricht im Postulat, Noviziat und Mutterhaus für die Prozeßschwestern. Hinzu kamen die Anregungen der Nachbarkonfrates, heute alle schon gestorben, in Bezug auf Garten- und Obstbau und Blumenkultur, besonders Rosenkultur, ferner Geflügelzucht usw. Vielfache Anregungen nach der gärtnerischen Seite verdanke ich Pfarrer Jos. Borchmeyer in Thüle und dem als Original weithin bekannten Kaplan Franz Amecke, der als Dechant und Pfarrer in Balve am 18.2.1933 gestorben ist. Das konfraternale Leben der Geistlichen von Salzkotten und Umgebung war prachtvoll schön. An der Spitze des Dekanates stand als Dechant Wilhelm Sagemüller, Pfarrer von Boke, auch ein Original vom reinsten Wasser, dabei ein frommer Priester. Es würde zu weit führen, von der schönen Salzkottener Zeit auch nur das Interessanteste zu erzählen.

Wenn ich schon durch Dechant Schonlau in Wenholthausen, einen selten bausachverständigen Priester, der u.a. in Wenholthausen nach eigenen Plänen die Kirche vergrößert, Glockenturm und Dachreiter gebaut, Pfarrhaus grundstürzend durchgebaut hatte usw., eine kleine Einführung in das Bauwesen bekommen hatte, so hatte ich in Salzkotten reichlich Gelegenheit, viel Neues zu lernen, so bei Erbauung des Noviziates und des Pensionates, bei verschiedenen Durchbauten im alten Krankenhause, in der Ökonomie des Krankenhauses usw. - Auch nach der pädagogischen Seite sollten meine Kenntnisse in Salzkotten erweitert werden. Auf Antrag der Stadtverwaltung übernahm ich an der 1895 neueingerichteten Rektoratsschule in Salzkotten eine Stelle als nebenamtlicher Hilfslehrer mit je 12 Wochenstunden in Latein und Deutsch. Im Jahre 1897 machte ich mein Pfarrexamen und im folgenden Jahre mit dem damaligen Rektor Meyer von Geseke, gestorben als Gymnasaillehrer von Paderborn in Berlin, das Rektoratsexamen vor dem Provinzialschulkollegium in Münster.

Am 10.10.1898 erhielt ich meine Berufung zur Heimatstadt als Prokurator des Bischöflichen Priesterseminars und Quästor der Bischöfl. Phil.-Theol. Akademie, welche Ämter ich bis 1. Mai 1931, also über 32 Jahre verwaltet habe. Mit der Prokuratie war die Verwaltung einer großen Reihe von Stiftungen verbunden, und 24 Jahre war ich außerdem Rendant der Markkirche und später auch der Herz-Jesu-Pfarrkirche.

Im Jahre 1901/02 wurde der große, vom Fürstbischof Theodor von Fürstenberg im Jahre 1598 erbaute Südflügel des früheren Jesuitenkollegs wegen Baufälligkeit niedergelegt und nach den Plänen des † Architekten Mündelein wieder aufgebaut. Zur Feier der Einweihung am 5.8.1902 ließ ich als Festschrift "Die Geschichte des Bischöflichen Priesterseminars zu Paderborn" erscheinen; am 31. Oktober 1927 erschien von mir aus Anlaß des 150-jährigen Bestehens der Anstalt ein Nachtrag zur Seminargeschichte über die Jahre 1902-1927. Gerade als Prokurator hatte ich Gelegenheit, mich weiterhin praktisch zu betätigen, so 1906 bei Ausbau der Mansarde des Ostflügels, 1911/12 bei dem völligen inneren Umbau des Fakultätsflügels und des Kopfflügels am Seminarostflügel. Meine erste Bautätigkeit erstreckte sich aber auf den Umbau der Kuh- und Schweineställe beim Seminar, wie ich auch auf Geflügel ein aufmerksames Auge warf. In Salzkotten hatte ich ja bei dem Kreistierschaufest 1896 einen Preis auf selbstgezüchtete Peking-Enten erhalten.

Im Jahre 1901 übernahm ich die Diözesan-Vertretung des Volksvereins für das katholische Deutschland. Von 1902-1928 gehörte ich dem weiteren und engeren Vorstande dieses Vereins an. Durch mein Amt als Diözesanvertreter des Volksvereines (1901-1908) war ich in das öffentliche Leben gestellt. Als Volksvereinsredner und Organisator wurde ich besonders im westfälischen Anteil der Diözese bekannt. Als Sohn eines Arbeiters interessierten mich besonders Arbeiterfragen. Als Schüler des großen Sozialpolitikers Franz Brandts und Prälat Dr. Hitze hielt ich in Paderborn mehrere Arbeiterschulungskurse ab und wurde Mitbegründer der Christlichen Gewerkschaften im Paderborner Lande und des Katholischen Arbeitervereins in meiner Vaterstadt. Hierdurch sowie durch meine Tätigkeit im Volksverein habe ich die von Bielefeld nach Paderborn eindringende Sozialdemokratie wirksam aufhalten können. - Für die Zentrumspartei im östlichen Westfalen habe ich auch gearbeitet und gehörte über 10 Jahre dem Vorstande für die Provinz Westfalen an.

Zur Mitarbeit für die Landwirtschaft regte mich aber das Bauernblut in meinen Adern an. An der Gründung der Landwirstschaftlichen Winterschule in Paderborn nahm ich lebhaften Anteil, wie ich auch in bäuerlichen Volksversammlungen gern landwirtschaftliche Fragen behandelte. Über 9 Jahre erteilte ich Unterricht in Religion und Lebenskunde sowie in Wohlfahrts- und Heimatpflege an der Winterschule und desgl. 1912-1914 an der Ländlichen Haushaltungsschule Paderborn. Den Kuratorien beider Anstalten habe ich langjährig angehört. - Im Januar 1910 war ich Mitbegründer der Vereinigung der Sennefreunde in Paderborn.

In Verbindung mit der leider viel zu früh verstorbenen Fräulein Else Schönbeck und mit Dr. Wilhelm ohn und unter Unterstützung des Volksvereins für das katholische Deutschland erfolgte im Jahre 1911 die Gründung der Wirtschaftlichen Frauenschule Mallinckrodthof zu Nordborchen zur Heranbildung katholischer Landwirtschaftslehrerinnen; es folgte sofort die Gründung der Gesellschaft für landwirtschaftliche Frauenbildung, die z.Zt. noch die zwei Schulen Mallinckrodthof und Selikum betreibt; die Maidenschule Inselbad (1917 bis 1928) mußte aufgegeben werden, und die Gärtnerinnenschule in Balduinstein, früher in Kaiserswerth, ist an die Hiltruper Missionsschwestern verkauft. Ich war Mitgeschäftsführer von der Gründung bis zur Generalversammlung des Schulträgers in Essen Juni 1933. Die Geschäftsführung, die mir viel Arbeit brachte und auch große Auslagen verursachte, habe ich kostenlos 22 Jahre hindurch geführt. - Für Mallinckrodthof übernahm ich 1912-1918 den Unterricht in Psychologie, Pädagogik, Verwaltungskunde, ferner in der ländlichen Wohlfahrts- und Heimatpflege. Denselben Unterricht übernahm ich auf der Maidenschule Inselbad. Auf Unterrichtshonorar habe ich, wie früher bei der Winterschule, so auch in Mallinckrodthof und Inselbad verzichtet. Für Borchen habe ich vielfaches Inventar, Bilder, Gewächshaus und Bienenhütte usw. gestiftet. Meine Aufwendungen für Borchen und den Schulträger durch kostenlose Geschäftsführung, durch kostenlose langjährige Erteilung des Unterrichtes, durch Verzicht auf Reise- usw. Kosten und durch Stiftungen von Inventar, Gewächshaus usw. sind etwa auf 30000 Mark zu beziffern.

Von 1913-1927 war ich 2. Vorsitzender der Landeskrankenkassse des Kreises Paderborn. - Den Schwestern der Christlichen Liebe in Paderborn war ich ein treuer Freund; 18 Jahre habe ich in der Mutterhauskirche in Konventsmesse gelesen; 15 Jahre erteilte ich Unterricht im Noviziat und Postulat, wie ich auch im sog. Terziat bei Vorbereitung der Schwestern auf verschiedenen Kursen Unterrricht in Latein, Deutsch, Geschichte, Geographie aushilfsweise erteilt habe. Wie ich in Salzkotten als Klosterkaplan gern den Gesangchor der Schwestern geleitet hatte, so habe ich bei den Schwestern der Christlichen Liebe den Schwesternchor jahrelang geleitet.

Bei Ausbruch des Weltkrieges übernahm ich die seelsorgliche Betreuung des großen Vereinslazaretts Inselbad als Lazarettpfarrer, bis im Jahre 1916 eine bei einer Volksvereinsveranstaltung zugezogene Grippe mit nachfolgender Tuberkulose mich zur Aufgabe des "Lazarettpfarrers" zwang. Im Sinne der Regierung war ich unablässig bestrebt, durch und im Volksverein die Not der Kriegs- und Nachkriegszeit nach besten Kräften zu mildern. Als erster erhielt ich im Regierungsbezirk Minden das Kriegsverdienstkreuz. Noch während des Krieges berief mich der Oberpräsident der Provinz Westfalen in den Vorstand der Kriegswirtschaftsstelle des Kreises Paderborn. - Im Jahre 1919 legte ich mein Amt als Diözesanvertreter des Volksvereins f.d.K.D. für die Diözese Paderborn aus Gesundheitsgründen nieder, desgl. auch den liebgewordenen Unterricht an den Wirtschaftlichen Frauenschulen Mallinckrodthof und Inselbad.

Von Bischof Dr. Karl Joseph Schulte wurde ich am 18.12.1913 zum Geistlichen Rat ad honores ernannt. Am 29.1.1915 wurde ich zum Bischöflichen Kommissar der Missionsschwestern vom Kostbaren Blute in Neuenbeken ernannt und am 13.3.1919 zum Superior der Franziskanerinnen von Salzkotten berufen, denen ich auch während der Amtstätigkeit meines Vorgängers als Superior von Salzkotten, des guten Prälaten Altstaedt, besonders in Baufragen gern geholfen habe. Für das Mutterhaus Salzkotten habe ich im Manuskript die umfangreiche Geschichte der Franziskanerinnen (1859-1927) fertiggestellt, woraus im Jahre 1925 ein Auszug erschienen und gedruckt ist. - Gelegentliche kleinere Arbeiten aus dem Gebiete der Lokalgeschichte habe ich in der Tagespresse erscheinen lassen.

Als Seminarprokurator habe ich vom Jahre 1900 an, beginnend mit einer Reise ins Heilige Land, bis zum Ausbruch des Weltkrieges fast jedes Jahr eine Auslandsreise und vom Jahre 1906 an jedes Jahr eine Seereise in für mich unbekannte Länder gemacht. Im Jahre 1923 machte ich als Superior der Franziskanerinnen von Salzkotten eine zweite Reise nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Auf dem Ozeandampfer Stuttgart erhielt ich von Freund Carl Blomenkemper, mit dem ich lange Jahre besonders in landwirtschaftlichen Schulangelegenheiten zusammengearbeitet habe, ein Telegramm über geschäftliche Angelegenheiten; gleichzeitig wurde mir gekabelt, daß Weihbischof Hähling von Lanzenauer am 30.8.1923 gestorben sei. Am folgenden Morgen habe ich für den heimgegangenen Freund auf dem Dampfer die heilige Messe gelesen und habe nicht geahnt, daß ich dem eifrigen und erfolgreichen Förderer der reichsdeutschen Diaspora ein Nachfolger sein würde.

Auf Anregung unseres hochwürdigsten Oberhirten, des Protektors des Bonifatiusvereins, Erzbischof Dr. Caspar Klein, wurden auf der außerordentlichen Generalversammlung des Bonifatiusvereins in Paderborn am 17.3.1926 Geheimer Regierungsrat Meinolf von Mallinckrodt zum Präsidenten und ich zum Vizepräsidenten und Geschäftsführer des Bonifatiusvereins gewählt. Nach Niederlegung der Verwaltung des Priesterseminars und der Akademie im Jahre 1931 widme ich den Hauptteil meiner Arbeitskraft der lieben Fürsorge für die reichsdeutsche Diaspora. Auf der Generalversammlung des Vereins in Hamburg 1931 wurde die durch den Weltkrieg notgedrungen aufgegebene großdeutsche Linie der Bonifatiusarbeit durch die Gründung des Bonifatiuswerkes für die religiöse Betreuung der außerreichsdeutschen Diaspora wieder aufgenommen. Auch für das Bonifatiuswerk mit seinen weitverzweigten Beziehungen zum Auslandsdeutschtum bin ich Geschäftsführer. - Am 23.6.1928 ernannte Papst Pius XI. auf Antrag meines Diözesanbischofs mich zum Päpstlichen Hausprälaten.

Man wolle mir die ausführliche Beschreibung meiner vielfältigen Tätigkeit nicht als Eitelkeit auslegen. Es ist alles geschrieben im Herzensdanke gegen Gott im Sinne einer gesunden Familienüberlieferung. Ich denke an die Worte unseres göttlichen Lehrmeisters: "Wenn ihr alles getan habt, was euch aufgetragen ist, dann saget: 'Unnütze Knechte sind wir'." - Und was hat der liebe Gott mir für den Rest des Lebens bestimmt? Er, unser gütiger Vater, möge mir die Widerwärtigkeiten und Prüfungen, besonders aber in den Tagen der Krankheit und auf dem Sterbelager, mit seiner Gnade liebreich helfen, so daß ich aus ganzer Seele und mit voller Hingabe mit dem Heiland sprechen kann: "Herr, nicht wie ich will, sondern wie du willst," und mit dem heiligen Apostel Paulus: "Ich vermag alles in dem, der mich stärkt."

Das vierte Kind meiner Eltern war ein Mädchen, geboren am 19. Dezember 1869, das in der heiligen Taufe den Namen Friederike Elisabeth erhielt; Taufpatin war Friederike von Rüden, eine Halbschwester meiner Mutter, später nach Scherfede an Bäckermeister Wilhelm Fieseler verheiratet. Meine Schwester starb bereits am 15. März 1870.

Als fünftes Kind wurde meinen Eltern am 29. Dezember 1870 ein Sohn geboren, der in der am 2. Januar 1871 gespendeten heiligen Taufe des Namen Franz erhielt, zu dem Franz Schäfers aus Nordborchen, ein Onkel meines Vaters, Pate wurde. Mein Bruder Franz starb am 15. November 1875; der Beerdigung meines jüngeren brüderlichen Spielgenossen kann ich mich noch recht gut erinnern.

Die folgenden Kinder waren Zwillinge, geboren am 13. März 1872 und am selben Tage getauft; beide starben im zartesten Kindesalter, und zwar starb Heinrich Friedrich - Taufpate: Nachbar Heinrich Steinmetz - am 23. März 1872 und Bernhard Ludwig - Taufpate: Nachbar Schlossermeister Rody - am 30. März 1872.

Als 10. Kind wurde eine Tochter geschenkt, Maria Elisabeth, geboren am 20. Mai 1878, getauft am 23. Mai 1878 und gestorben am 12. Februar 1879. Taufpatin war Näherin Elisabeth Risse aus Henglarn, eine Kusine meines Vaters, deren ich im ersten Abschnitt dieser Familiengeschichte Erwähnung getan habe.

Ich habe in der Reihenfolge meiner Geschwister die früh verstorbene Maria Elisabeth vorweggenommen, um meinen drei jüngeren Brüdern Joseph, Wilhelm und Leo eine eingehendere und nicht unterbrochene Darstellung zu geben.

Mehr zu Blankenrode und der Familie der Mutter des Autors erfahren Sie in der Geschichte der Franziska von Rüden in der Rubrik "Zeitzeugen".

Mein Bruder Joseph Anton wurde meinen Eltern als 8. Kind am 26. Juni 1873 geboren und am 29. Juni 1873 getauft. Taufpate war Anton von Rüden aus Blankenrode, Halbbruder meiner Mutter. Eine ausführliche Darstellung des Lebensganges meines Bruders Joseph befindet sich bei den Akten unserer Familie. Im Nachstehenden möge ein Auszug folgen:


Aus dem Leben meines Bruders Joseph

Am 2. Oktober 1875 wurde als neuntes Kind meinen Eltern mein Bruder Wilhelm Joseph geboren und am 6. Oktober 1875 getauft. Taufpate war Wilhelm Fieseler, Bäckermeister in Scherfede, Schwager meiner sel. Mutter, der dort im hohen Alter von 94 ½ Jahren am 21. Februar gestorben ist. Aus der Ehe Wilhelm Fieselers mit Friederike von Rüden ist ein Sohn hervorgegangen, der Bäcker- und Konditormeister Anton Fieseler in Köln-Kalk, der dort ein gutes Geschäft sich gegründet hat.

Mein Bruder Wilhelm wuchs wie alle Schäfersjungen auf. In der Schule war er nicht allzu eifrig, wenn auch sehr gut talentiert. In der freien Zeit wurde eifrig Räuber und Gendarm, Indianer und Weiße usw. gespielt. Spielplätze waren die Promenaden, Stadtgräben, die damals zum Teil noch vorhanden waren, das städtische Wollhaus mit Hintergebäuden auf dem Liboriberg, der Gymnasialturnplatz an der jetzigen Kilianstraße und zur sehr geringen Freude meiner Mutter die geräumige Brauerei mit Anlagen von Hester. Mutter hatte eine berechtigte Abneigung gegen Hesters, nicht gegen die Familie, wohl aber gegen die Brauerei und den Brauereibetrieb mit teilweise doch weniger geeigneten Personen. Aber Schäfers wie die Jungen aus der Nachbarschaft waren von Hesters nicht wegzubringen.

Nachdem mein Bruder Wilhelm die Volksschule zum größten Teil durchgemacht hatte und vor der Entlassung und der ersten heiligen Kommunion stand, wurde die Frage der Berufswahl erwogen. Ich war damals Theologe im II. Semester und riet wegen Wilhelms guter geistiger Veranlagung dazu, dass er den Lehrerberuf ergreife. Wilhelm aber wollte durchaus Schlosser oder Schmied werden. Da die Eltern mit mir am Schulmeisterberuf festhielten, erklärte Wilhelm, dann wolle er lieber das Gymnasium besuchen. Dieser Vorschlag wurde im Familienrat angenommen, und ich übernahm sofort Erteilung von Privatstunden in Latein. Da Wilhelm bereits im 14. Lebensjahr stand, musste alles darangesetzt werden, dass er einige Klassen am Gymnasium überschlug. Wir begannen den Lateinunterricht Anfang Dezember 1888, und so war er gezwungen, sich zu präparieren für die Volksschule, für den Kommunionunterricht und für Latein. Nach der Schulentlassung habe ich Wilhelm außerordentlich scharf heran genommen; manche Backpfeife hat er einstecken müssen, da er der Fleißigste gerade nicht war. Aber das gesteckte Ziel wurde erreicht: Wilhelm bestand nach Privatunterricht von Dezember 1888 bis etwa September 1889 die Aufnahmeprüfung für Herbst Quarta, hat also in 9-monatigem Privatunterricht das Pensum von 2 ½ Jahren absolviert.

Sein erster Ordinarius war der geistliche Professor Bernhard Kuhlmann, später hatte er meinen eigenen früheren Ordinarius Professor Kotthoff und auf Obersekunda den geistlichen Professor Dr. Niggemeyer, der als Gymnasialdirektor i.R. in Paderborn gestorben ist. - Wenn ich und die Eltern geglaubt hatten, Bruder Wilhelm würde selbst sich zum Studium antreiben, so sahen wir uns doch getäuscht. Ich selbst konnte wegen meines eigenen Studiums und wegen meiner vielen Privatstunden mich nicht so intensiv um den Bruder kümmern und wollte es auch nicht. Im Sommersemester war er wenig fleißig, zog nach den Herbstferien etwas an und war nach Weihnachten einer der besseren Schüler der Klasse. Nachdem das Einjährige erreicht war, wollte Wilhelm durchaus abgehen, um Techniker bei der Eisenbahn zu werden. Er setzte seinen Kopf durch. Auf Rat seines wohlmeinenden Ordinarius Prof. Niggemeyer nahmen wir ihn vom Gymnasium, und Wilhelm musste dann zur Eisenbahnhauptwerkstätte, um eine dreijährige Lehre als Schlosser zu absolvieren.


Haus der Fam. Wilhelm Schäfers in der Geroldstraße 1, Paderborn

Er besuchte dann die Maschinenbauschule in Hagen i.W., ohne jedoch eine Abschlussprüfung gemacht zu haben, und später als Hörer die Technische Hochschule in Hannover. Das einjährig-freiwillige Jahr diente er 1900/01 ab in Paderborn beim Infanterie-Regiment 158 bei der 8. Kompanie. Im elterlichen Hause hatte er freie Kost und Wohnung, die übrigen Kosten des Einjährigen Jahres wie die Ausbildungskosten in Hagen und Hannover habe ich getragen.

Nachdem er mit der Qualifikation zum Reserveunteroffizier das Einjährige Jahr beschlossen hatte, machte er zwei mehrwöchige Reserveübungen als Unteroffizier und Vizefeldwebel mit, um die Qualifikation als Reserveoffizier zu erhalten. Als Vizefeldwebel hatte er einen Burschen, der zum elterlichen Hause kam; Vater war damals pensioniert, Mutter gestorben. Wenn der Bursche von Wilhelm, dem "Herrn Vizefeldwebel", und in der dritten Person von ihm zu Vater sprach, da sehe ich noch ein Lächeln über die Leidenszüge des Vaters ziehen, der sich freute, dass von einem seiner Jungen als "Herrn Vizefeldwebel" gesprochen werde.

Als Techniker hatte Wilhelm verschiedene Stellen, so bei der Gutehoffnungshütte in Sterkrade, in Nürnberg, Köln und zuletzt in Oberschlesien, wo er sich entschloss, mit Joseph Sauerland in Paderborn eine Eisenbetonfirma zu eröffnen.

Am 7.2.1907 heiratete Wilhelm meine jetzige Schwägerin Maria Jürgens vom Vilserhofe in Salzkotten. Trauzeugen waren die Brüder der jungen Eheleute: Eisenbahnschlosser Leo Schäfers, damals zu Osterfeld, und einjährig-freiwilliger Artillerist Joseph Jürgens. Aus der Ehe gingen nachstehende Kinder hervor:



Die jungen Eheleute wohnten zur Miete, und zwar zuerst in einem Hause auf der Liboripromenade, welches bei Anlage des Bahnüberganges abgerissen ist, dann an der Kilianstraße Nr. 22. Mein Bruder baute dann ein Eigenheim mit seinem Kompagnon Sauerland, ein Doppelhaus an der Geroldstraße 1.


Haus der Fam. Leo Schäfers, Recklinghausen, Hindenburg-Allee Nr. 61

Bis zum Ausbruch des Weltkrieges hatte das Baugeschäft Schäfers und Sauerland sich sehr gut entwickelt. An Aufregungen, Mühen und geschäftlichen Sorgen hat es wahrlich nicht gefehlt! - Wilhelm meldete sich bei Kriegsbeginn freiwillig und rückte mit dem Landsturmbataillon Paderborn, bei dem er als Offizier-Stellvertreter einen Zug der 3. Kompanie führte, ins Feld.

Später war er als Ingenieur bei Ausbau von Stellungen tätig, so in der Gegend von Reims, dann auf Helgoland und in den Vogesen. Zum Schluss des Weltkrieges war er auf dem Flugplatz Paderborn tätig.

Nach dem Kriege wurde die Firma Schäfers und Sauerland aufgelöst; auch hier wieder Sorgen und Mühen! Mein Bruder beabsichtigte, in Recklinghausen ein neues Geschäft aufzubauen; er starb jedoch in seinem selbst erbauten Haus in Paderborn am 4.2.1924 und hinterließ Frau und vier unversorgte Kinder, von denen das jüngste vier Jahre alt war. - Das Haus Geroldstr. 3 hatte mein Bruder noch 14 Tage vor seinem Tode verkauft. Meine Schwägerin zog darauf in das Haus Geroldstr. 1. Hier bewohne ich nach meiner Pensionierung ... Anm.: unleserlicher Abschnitt ...


Aus dem Leben meines Bruders Leo






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